Seit Januar legen Mitarbeitende der Stadtarchäologie im Rahmen von Werkleitungssanierungen des Tiefbauamts im ganzen Fraumünsterquartier Hinterlassenschaften der Geschichte Zürichs frei. Bereits kamen zahlreiche interessante Funde und Befunde zum Vorschein. Die untersuchte Zeitspanne reicht von der Frühgeschichte bis in die unmittelbare Geschichte des 19. Jahrhunderts, als der mittelalterliche Baubestand vollständig abgebrochen wurde, um dem modernen Fraumünsterquartier Platz zu machen.
Das heutige Fraumünsterquartier liegt auf einem nacheiszeitlichen Sihldelta und war bis ins Frühmittelalter (ca. 500–1000 n. Chr.) vom See geprägt. Die erste Nutzung des Gebiets – um ca. 600–700 n. Chr. – fiel noch etwas zögerlich aus und wurde von erneuten Wasserhochständen unterbrochen. Die überraschend grosse Anzahl von Schlacke aus frühen Schichten weist auf ein nahegelegenes, intensiv betriebenes Schmiedehandwerk hin. Diese frühmittelalterliche Nutzung ist auch deshalb von besonderem Interesse, weil sie im Bereich der späteren Fraumünsterabtei liegt. Das Frauenkloster ist spätestens ab Mitte des 9. Jahrhunderts eine direkt dem König unterstellte Abtei und spielte eine zentrale Rolle in Zürichs früher Stadtgeschichte.
Bereits im Hochmittelalter (ca. 1000–1250 n. Chr.) entsteht weiter südlich Richtung See ein neuer Siedlungskern, der sogenannte Kratz. In den vergangenen Wochen legte die Stadtarchäologie verschiedentlich Mauern von mittelalterlichen Gebäuden frei. Die aufwändige Bauweise der repräsentativen Bauten lässt auf eine durchaus wohlhabende Bewohnerschaft schliessen. Dennoch ist das Handwerk allgegenwärtig. Durch seine spezifischen Hinterlassenschaften lassen sich beispielsweise Werkstätten von Rosenkranzherstellern, welche aus Knochen Perlen für Gebetsschnüre herstellten, nachweisen.
An der Börsen- und Fraumünsterstrasse wurden die Überreste der Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert freigelegt. Der Murerplan von 1576 zeigt die Stadtmauer zinnenbekrönt und aus massiven Bossenquadern gefügt. In den 1540er-Jahren erweiterte die Stadt Zürich das Kratzquartier seewärts. Die Bevölkerung wurde im Zuge dieser Arbeiten aufgefordert ihren Abfall vor der alten Stadtmauer zu entsorgen, um die nötigen Aufschüttungsarbeiten zu unterstützen. Der neu entstandene Platz wurde als Steinwerkplatz genutzt. Das am Platz gelegene Werkmeisterhaus erhielt 1803 die neu geschaffene Stadtgemeinde Zürich als Stadthaus zugesprochen. Davon ist heute nichts mehr zu sehen. Gebäude wie die Nationalbank oder das Metropol stehen an ihrer Stelle und widerspiegeln den Wandel des Quartiers.
Die Grabungen im Fraumünsterquartier dauern noch bis Ende November. Die Stadtarchäologie begleitet die Werkleitungssanierungen weiterhin intensiv. Ein Kurzfilm über das Quartier und die Ausgrabungen ist im archäologischen Fenster des Parkhaus' Opéra zu sehen.
Weitere Informationen
- Wohl frühester «Stadtplan» von Zürich. Der Holzdruck von Jos Murer stammt von 1576 und gibt eine detaillierte Ansicht der frühneuzeitlichen Stadt Zürich wieder. Der eingefärbte Ausschnitt zeigt das Kratzquartier, das zwischen Fraumünsterkirche und See liegt. (Repro Baugeschichtliches Archiv Zürich) (Bild, 2 MB)Dokument herunterladen
- Eine historische Fotografie aus dem Archiv. Die Aufnahme zeigt eine Häuserzeile im Kratzquartier, die 1884 für den Bau des modernen Fraumünsterquartiers abgetragen wurde. Die Häuser stehen wiederum über der älteren Stadtmauer des 13. Jahrhunderts und nehmen ungefähr deren Verlauf auf. (Foto Baugeschichtliches Archiv) (Bild, 738 KB)Dokument herunterladen
- Blick in einen Leitungsgraben. Im momentan offenliegenden Werkleitungsgraben an der Börsenstrasse zeigen sich die Reste der monumentalen Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert (querverlaufende Mauer im Vordergrund). Sie wurde im 16. Jahrhundert aufgrund einer Stadterweiterung gegen den See hin aufgegeben. (Foto Stadtarchäologie Zürich, Philip Bond) (Bild, 942 KB)Dokument herunterladen
- Typische Hinterlassenschaften des Paternosterhandwerks. Die Paternosterer beziehungsweise Rosenkranzhersteller drehten aus Tierknochen Perlen und kleine Ringe für Gebetsschnüre. Das Handwerk erhielt im 14. Jahrhundert Aufschwung. In mittelalterlichen Abfallschichten am Limmatufer, in unmittelbarer Nähe zur Fraumünsterabtei, finden sich zahlreiche solche Werkstattabfälle. (Foto Stadtarchäologie Zürich, Kathrin Schäppi) (Bild, 1 MB)Dokument herunterladen