Das Wohn- und Geschäftshaus «Schwarze Stege» liegt an der Mühlegasse 5, mitten im Zürcher Niederdorf. Die kräftig rote Fassade mit dem bunten Fries (Emil Morf, 1928) prägt das Bild an dieser Gasse. Das Haus war Standort des traditionsreichen Kinos Radium, das 1907 als eines der ersten in Zürich seinen Betrieb aufnahm.
Als das Kino im Jahre 2008 geschlossen wurde, begann im darauffolgenden Jahr der tiefgreifende Umbau der Liegenschaft, begleitet von der Archäologie und Denkmalpflege der Stadt Zürich. 2010 wurde der Umbau erfolgreich abgeschlossen. Im ersten bis dritten Obergeschoss beider Hausteile liegen gediegene Wohnräume - mit Blick auf Mühlegasse und Limmat.
Manch Überraschendes zeigte sich unter der vertrauten Hülle. Ein Team der Stadtarchäologie legte bei der Ausgrabung im Erdgeschoss die Reste von älteren Bauten aus dem Mittelalter frei. Einfache Steinmauern, Lehm- und Holzböden, Fachwerkwände auf Schwellbalken und Feuerstellen, aus dem zehnten bis zwölften Jahrhundert, konnten auf relativ grosser Fläche dokumentiert werden. Weiter wurden eine verborgene Kassettendecke aus dem Barock sowie Plakate aus der Frühzeit der Zürcher «Kinematographie» entdeckt. Die Fundumstände lassen vermuten, dass die Plakate in der Holzvertäfelung über dem Dachvorsprung versteckt wurden. Der Grund dafür bleibt rätselhaft.
Die Untersuchung durch den Filmhistoriker Adrian Gerber macht die ganze Bandbreite des Fundes sichtbar: 90 Filmplakate, 68 Programmzettel (inklusive Dubletten), einige Nummern der Filmzeitschrift «Kinema» sowie Materialien zu Kino- und Filmverleih aus der Stummfilmzeit, hauptsächlich aus den Jahren 1911–1914. Die «Fantomas»-Plakate, populäre Filmfigur, stammen aus dem Jahr 1913, das älteste Plakat mit dem Titel «Die Ehre verloren – alles verloren» aus dem Jahr 1907, dem Gründungsjahr des Radium.
Aus filmhistorischer Sicht ist der Fund spektakulär. In Plakatsammlungen sind Affichen aus der frühen Stummfilmzeit Raritäten. Einfache Textplakate aus der Eigenproduktion eines «Kinematographentheaters», wie sie einen Grossteil des Radium-Fundes ausmachen, waren praktisch unbekannt. Dies liegt auch daran, dass bildungsbürgerliche Kreise jener Zeit dem sich rasch ausbreitenden Unterhaltungsmedium Film äusserst kritisch gegenüberstanden. Insbesondere die Kinowerbung mit ihren «in hässlich grellen Farben gestalteten Reklamebildern» tat man als «geschmacklos» ab. Nur ganz wenige Affichen gelangten damals in eine Sammlung.
Diese aussergewöhnlichen Geschichten und Funde zeigt die Ausstellung «Fundort Kino – Archäologie im Kino Radium» im Haus zum Rech; vom 15. Februar bis 7. Mai 2011.
Weitere Informationen
- Der Mitarbeiter der Stadtarchäologie, der die Plakate sicherstellte, zeigt die Fundstelle. Die Papiere lagen auf einem Stapel hinter dem Wandtäfer über dem Dachvorsprung. Aus welchem Grund sie dorthin gelangten, ist rätselhaft. Bild: Amt für Städtebau Zürich – Archäologie (Bild, 860 KB)Dokument herunterladen
- Plakat für den Film «Der reiche Vetter Franz» / «Wealthy Brother John» (Grossbritannien 1911). Plot: Solange er Geld hat, ist er umworben. Danach ist ihm nur noch das Kindermädchen treu. Dem in Grossbritannien gedruckten Plakat wurde der deutsche Titel nachträglich zugefügt. In der Ausstellung «Fundort Kino» ist es in restauriertem Zustand zu sehen. Bild: Amt für Städtebau Zürich – Archäologie (Bild, 997 KB)Dokument herunterladen
- Plakat für den Film «Die dunkle Stunde» (Deutschland 1913). Die Handlung dieses verschollenen Films von Max Mack ist weitgehend unbekannt. Einzig die von der Münchner Zensur geschnittenen Szenen sind dokumentiert: unter anderem ein Kampf im Restaurant, das Zubodenwerfen einer Frau durch den Ehemann, ein Rendezvous sowie eine Sterbeszene. Mit 148 x 110 cm gehört das sehr ansprechend gestaltete Plakat zu den grösseren des Fundes. Es dient als Poster für die Ausstellung und ist im Rech in restauriertem Zustand zu sehen. Bild: Amt für Städtebau Zürich – Archäologie (Bild, 1 MB)Dokument herunterladen
- Plakat für den Film «Fantomas» / «Fantômas à l'ombre de la guillotine» (Frankreich 1913). Bereits in der Stummfilmzeit beliebt und heute noch bestens bekannt ist die Filmfigur Fantomas. 1913 und 1914 entstanden unter der Regie von Louis Feuillade fünf erfolgreiche Fantomas-Filme mit René Navarre in der Titelrolle. Das restaurierte Plakat stammt aus der Eigenproduktion des Kinos Radium. Bild: Amt für Städtebau Zürich – Archäologie (Bild, 768 KB)Dokument herunterladen