Die Kunst der Kunstvermittlung
Das Bedürfnis, eine Lücke zu füllen
Stefan Wagner hat 2014 das Stipendium für Kunstvermittlung erhalten, das im Rahmen der Kunstförderung der Stadt Zürich seit einigen Jahren vergeben wird. Stefan Wagner hat mit dem selbstorganisierten Kunstraum Corner College der hiesigen Kunstszene wichtige Impulse gegeben. Vor kurzem hat er das Corner College einer jüngeren Gruppe übergeben. In einem Gespräch äussert er sich zu seinem Verständnis von Kunstvermittlung.
BARBARA BASTING: Was ist Kunstvermittlung?
STEFAN WAGNER: Vor allem eine kuratorische Tätigkeit, weniger ein Text, der sich zwischen Kunstwerk und Publikum schiebt. Es geht mir darum, einen möglichst direkten Austausch zwischen Kunst, Kunstschaffenden und Publikum herzustellen und auch eine gewisse Ratlosigkeit zuzulassen. Sie gehört für mich zur Kunst einfach dazu. Es ist ja gerade das Tolle an der Kunst, dass sie immer wieder an die Grenzen des Verstehens führt. Das geht heute in einem Kunstraum eher als in einer am Mainstream orientierten Institution.
War das auch ein Antrieb, um das Corner College zu gründen?
Durchaus. Nach meinem Praktikum in der Kunsthalle St. Gallen wollte ich einen Raum schaffen, der anders funktioniert, mehr auf Diskussionen setzt als die üblichen Vernissage-Gesellschaften, auch wenn die ihre soziale Funktion haben mögen. Wir haben im Team gearbeitet. Wichtig war für uns etwa das Format «Propose», jemand konnte uns etwas vorschlagen, und wir haben es ins Programm aufgenommen. Das ergab ein breites Spektrum von Veranstaltungen und Kunstproduktionen abseits der üblichen Modelle.
In den letzten Jahren gibt es immer mehr selbstorganisierte Räume. Warum?
Dahinter steckt das Bedürfnis, etwas zu tun. Man spürt, dass in den Institutionen etwas fehlt. Bei den Jüngeren hat es sicher auch mit Selbstpromotion zu tun, sie arbeiten an ihrer Karriere. Es gibt aber darüber hinaus eine Haltung, Kunst anders zu sehen und zu lesen als in den etablierten Strukturen.
Sind die selbstorganisierten Räume Restutopien, letzte Rückzugsräume, oder kündigen sich hier ganz neue, andere Organisationsformen an?
Sie verkörpern heute definitiv nicht die bürgerliche Vorstellung einer Avantgarde, jedenfalls nicht in meinem Verständnis. Ich glaube aber schon, dass sich das Feld der Kunst nochmals massiv ändern wird, gerade durch die Digitalisierung. Es ist heute einfacher, einen Kunstraum zu führen, man kann zum Beispiel kostengünstig über die sozialen Medien werben. Es hat auch zu tun mit diesem ganzen Trend zur Creative City, wie er beispielsweise auch von der Stadt Zürich oder der ZHdK vorangetrieben wird. Dahinter steckt die Logik des Umbaus von einer Industrie- in eine Wissensgesellschaft.
Es wird hierzulande ziemlich viel getan für die Vermittlung der hiesigen Kunst im In- und Ausland. Trotzdem findet sich auf der Künstlerliste von Okwui Enwezor, dem Kurator der nächsten Biennale von Venedig, nur ein Schweizer Name, der von Thomas Hirschhorn. Hat hier die Vermittlung versagt?
Das liegt kaum an der Vermittlung. Ich glaube, in diesem Land herrscht eine gewisse Saturiertheit, es stellen sich Fragen nicht, die an anderer Stelle akut werden. Was draussen in der Welt vorgeht, ist für viele Kunstschaffende, gerade die Jüngeren, nicht relevant, etwas pauschal gesagt. Ich kenne Okwui Enwezors Beweggründe nicht, kann aber verstehen, wenn bei ihm ausser Hirschhorn niemand aus der Schweiz dabei ist.
Die Stadt Zürich fördert seit langem die Kunst. Auch die Kunstvermittlung gehört seit einigen Jahren dazu. Wäre hier mehr zu tun?
Auf jeden Fall, zumal so viele Leute in diesem Feld unbezahlt und doch professionell arbeiten. Für Kunstschaffende gibt es insgesamt viele Stipendien, Preise und Auszeichnungen, für Kunstvermittler ist es viel schwieriger. Sie werden stiefmütterlich behandelt, weil man denkt, die können ja Kunst verkaufen, um sich zu finanzieren. Aber manche wollen das bewusst nicht.
Zürich ist zwar meines Wissens die einzige Stadt in der Schweiz, die ein solches Stipendium anbietet. Die selbstorganisierten Kunsträume können zwar Beiträge bekommen, können aber nie fest damit rechnen. Das hält niemand über längere Zeit aus. Es gibt hier eine Lücke, ein regelrechtes Vakuum zwischen den grösseren Institutionen, die in den letzten Jahren massiv mehr Geld bekommen haben, und den kleinen semiprofessionellen Räumen.
Sie haben nun das Corner College abgegeben. Warum?
Nach fünf Jahren habe ich gemerkt, dass ich etwas anderes machen muss, denn es war sehr kräftezehrend. Ich muss nun auch wieder Geld verdienen. Ausserdem war es für mich keine gute Vorstellung, dass man mit 50 noch immer dasselbe macht. Lieber will ich andere Zusammenhänge und Leute kennen lernen und ja, auch selber wieder mal an der Vernissagegesellschaft teilnehmen.
Das Gespräch führte Barbara Basting.
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