Zürichs grosser Kunstsommer
Bikini-Atoll, Zunfthaus der Künstler und Parallel Events
Wenn dieser Kunst-Newsletter erscheint, wird die Manifesta 11 in Zürich schon deutlich sichtbar sein, auch wenn die offizielle Eröffnung erst am 10. Juni und der erste Publikumstag am Samstag 11. Juni stattfindet. Vor allem der «Pavillon of Reflections», eine zusammen mit dem Studio Tom Emerson an der ETH entwickelte, vor dem Bellevue im See schwimmende Holzplattform, hat das Zeug zum Publikumsliebling. Denn einerseits werden hier fortlaufend von Studierenden der ZHdK produzierte Filme und Dokumentationen über die Entstehung der Manifesta-Kunstwerke von 30 internationalen Kunstschaffenden gezeigt. Die Plattform ist andererseits auch eine zusätzliche «Badi», ein temporäres Bikini-Atoll, von denen es in Zürich bekanntlich nie genug geben kann. Die Zürcherinnen und Zürcher und ihre Sommergäste aus dem In- und Ausland können also an einem weiteren attraktiven Ort baden gehen – Schwimmsachen nicht vergessen! Auf das lokale Zürcher Kulturschaffen treffen die Besucherinnen und Besucher in 38 sogenannten «Parallel Events».
Künstler und Künstlerinnen arbeiten mit Berufsleuten
Kaum baden gehen wird die Kunst, denn ihr wird mit der Manifesta 11 in Zürich zu einem grossen Auftritt verholfen. Das Programm der Manifesta unter dem Titel «What People Do For Money» spricht dafür, sich am besten gleich mehrere Tage zu reservieren, um auch nur einen Teil davon mitzubekommen. Denn es gibt beispielweise eine Vielzahl von Satelliten-Ausstellungen mit extra für Zürich entstehenden künstlerischen Neuproduktionen. Für diese hat Christian Jankowski, Künstler und Kurator der Manifesta11, 30 Kunstschaffende aus dem In- und Ausland eingeladen, die sich jeweils lokale Partner und Partnerinnen aus der Arbeitswelt gesucht haben. Denn es geht um Einblicke in Berufswelten, von der Kläranlage über den Hundesalon und die Sexarbeit bis zur Robotik. Kurz, um «Arbeit zwischen Berufung und Lohnarbeit», wie die Manifesta es formuliert.
Arbeitswelten historisch und aktuell
Im Helmhaus wird die Thematik historisch verankert; es wird dort eine Ausstellung zu älteren und neueren künstlerischen Darstellungen von Arbeitswelten geben. Und von internationalen Künstlern wie John Arnold und Santiago Sierra sowie dem Schriftsteller Michel Houellebecq wird das Thema Arbeitswelten in Neuproduktionen aufgegriffen. Einen weiteren Schwerpunkt der Manifesta findet man im Löwenbräu, wo von der Kunsthalle über das Migros-Museum bis zur Luma-Foundation alle Kunsträume für die Biennale zur Verfügung stehen. Etwas Besonderes hat sich Christian Jankowski im Dada-Jahr 2016 für das Cabaret Voltaire einfallen lassen. Er hat festgestellt, dass es in Zürich, wo sich doch einiges um die Zünfte dreht, keine Künstlerzunft gibt und kurzerhand eine gegründet. Ihr Zentrum steht das Cabaret der Künstler –- das Zunfthaus Voltaire. Es ist übrigens der einzige Ort, für den es kein Manifesta-Ticket braucht. Der Einlass wird hier auf andere Weise geregelt. Zutritt haben nur Zunftmitglieder – und ein solches wird, wer eine Performance zusammen mit einem Kunstschaffenden veranstaltet und sich rechtzeitig dafür angemeldet hat. Die Anmeldefrist ist leider schon vorbei….
Grossveranstaltungen internationalen Zuschnitts wie die Manifesta müssen sich zu Recht oft die Frage gefallen lassen, was sie der lokalen Kunstszene bringen. Denn selbst wenn der Kurator oder die Kuratorin sich für die lokale Szene interessieren, kann diese bei einer Biennale nur teilweise einbezogen werden. Weil die Manifesta um die Thematik weiss, ruft sie in ihren Gaststädten jeweils die sogenannten «Parallel Events» ins Leben. Diese Parallel Events sollen Schlaglichter auf die lokale Szene werfen, beispielsweise selbstorganisierte Off-Spaces oder ähnliche Initiativen einem breiteren Publikum bekannt machen. Die Parallel Events sollen wenigstens punktuell die kulturelle und künstlerische Vielfalt einer Stadt zeigen und sind nicht auf die bildende Kunst beschränkt, sondern umfassen auch Projekt aus den Bereichen Performance, Video, Fotografie, Tanz, Theater, Musik und Design.
Riesiges lokales Interesse
Wer in den Katalog dieser Parallel Events der Manifesta 11 in Zürich aufgenommen werden wollte, musste bei einem von der Manifesta offen ausgeschriebenen Wettbewerb ein Gesuch stellen. Dass bei diesem open call rund 330 Gesuche eingingen, hat den Horizont der Erwartungen bei weitem gesprengt und spricht für die enorme Attraktivität solcher Veranstaltungen. Nach einer Sichtung und Diskussion der Dossiers hat eine Jury unter Leitung der Manifesta schliesslich eine Auswahl getroffen, mit der möglichst unterschiedliche Projekte zum Zuge kommen sollen. Sie alle verbindet aber eines: Sie erschienen der Jury in der einen oder anderen Weise exemplarisch für die hiesige Kunst- und Kulturszene.
Viele Ideen, darunter auch etliche gute, mussten leider ausgeschieden werden – aber die Manifesta in Zürich bietet selbst für all jene eine Chance, die sich bei den Parallel Events erfolglos beworben haben. Denn schliesslich wird die Zürcher Kunstszene einen Sommer lang eine erhöhte internationale Aufmerksamkeit geniessen. Viele Besucherinnen und Besucher, darunter zahlreiche mit besonderem Interesse für zeitgenössische Kunst, werden sich nicht nur an den Schauplätzen der Manifesta, sondern auch sonst in der Stadt umschauen, und es werden sich im Rahmen der Manifesta und darüber hinaus viele Gelegenheiten für Gespräche, Austausch, neue Kontakte ergeben, die im günstigen Fall auch dann fortbestehen, wenn die Manifesta schon längst wieder weitergezogen ist. Vielleicht entsteht sogar so etwas wie der «Expo-Effekt», wie er nach der letzten Landesausstellung, der Expo.02 eingetreten ist: Durch die Manifesta, an der viele lokale Kunst- und Kulturschaffende wie auch Institutionen und Projektorganisatoren mitwirken, können sich ganz neue Netzwerke bilden, aber auch Ideen in Umlauf kommen, die der Kunst- und Kulturszene künftig zugutekommen werden. Es dürfte jedenfalls nicht nur spannend sein, sich mit den künstlerischen Aspekten der Manifesta auseinanderzusetzen, sondern darüber hinaus zu beobachten, wie sie als Veranstaltung mit einer eigenen Dynamik in die Kapillaren der Stadt eindringt und so zum Beispiel die Kultur der gegenseitigen Wahrnehmung und der Zusammenarbeit verändert.
Text: Barbara Basting
Manifesta 11: 11. Juni bis 18. September 2016
Löwenbräukunst-Areal (Kunsthalle, Migros-Museum, Luma Westbau / Pool), Helmhaus Zürich, Pavillon of Reflections, Zunfthaus Voltaire, rund 30 Satelliten und 38 Parallel Events.
Alle Informationen und News zur MANIFESTA 11
Die komplette Liste und detaillierte Angaben zu den PARALLEL EVENTS
Transactions - Die Projekte des Parallel-Events an der UNIVERSITÄT ZÜRICH