Stationen des Baugeschichtlichen Archivs seit 1877
Ein Abbruch steht am Anfang
Im März 1877 beschloss der Zürcher Stadtrat, besondere Bauwerke vor ihrem Abbruch fotografisch festzuhalten. Grund für die Initiative waren die einschneidenden Veränderungen im Stadtbild der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Unmittelbarer Anlass dürfte der Abbruch des alten Kratzquartiers beim Fraumünster gewesen sein.
Voraussetzung für die Dokumentation der verschwindenden Bausubstanz war eine geeignete Technik. Während die Behörden andernorts Zeichnungen anfertigen liessen, wollte der Stadtrat die junge Technik der Fotografie einsetzen. Der Bauvorstand sollte zu Handen des Stadtrates für das Dokumentationsvorhaben eine Auswahl der Gebäude treffen sowie die Anzahl und Formate der Fotografien definieren. Obwohl dieser Auftrag schliesslich gar nicht zur Ausführung kam, wurden damit bereits 1877 die Aufgaben einer dokumentierenden Fachstelle, wie sie das Baugeschichtliche Archiv sein wird, vom Prinzip her formuliert.
Eine erste Bildersammlung im Stadthaus
Einen neuen Anlauf machte 1893 der Substitut des Stadtschreibers, der aus eigener Initiative eine erste kleine Sammlung mit Bildern zur Stadt Zürich sammelte. Zusammen mit der städtischen Plansammlung wuchs aus diesem Bestand die Abteilung IX des Stadtarchivs. In den ersten vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts schritt die organisierte dokumentarische Arbeit und die Sammlungstätigkeit innerhalb des Stadtarchivs voran. Die Verantwortlichen begannen, systematisch Fotografien zu beschaffen und sie archivgerecht zu erschliessen.
Seit 1900 verfügte das Stadtarchiv im vierten Geschoss des Stadthauses über Archivräume, in denen es die Plan- und Bildersammlung unterbrachte. Zu Beginn der 1930er-Jahre konnten eine eigene Kamera sowie fotografische Laboreinrichtungen angeschafft werden. Man war nun in der Lage, dem 1877 formulierten Anspruch, Gebäude vor ihrem Abbruch fotografisch festzuhalten, nachzukommen. Gleichzeitig begann das Stadtarchiv systematisch Literatur zu einzelnen Gebäuden und allgemeinen bauhistorischen Themen zu sammeln. Ebenfalls Eingang ins Archiv fanden Zeichnungen und Grafiken.
Das Baugeschichtliche Museum im Helmhaus
Die 1940er-Jahre waren für das heutige Baugeschichtliche Archiv in zweierlei Hinsicht von grosser Bedeutung: Erstens entschied sich die Stadt 1940 zum Kauf des Modells «Zürich um 1800», das heute im Erdgeschoss des Hauses zum Rech steht. Dieser Ankauf geschah im Hinblick auf die zweite wichtige Neuerung: die Eröffnung eines Baugeschichtlichen Museums im Helmhaus. Zudem konnte im Februar 1943 das Baugeschichtliche Museum eröffnet werden. Das Echo war enorm: In den ersten sechs Tagen besuchten 7'300 Personen die Ausstellung.
Das Museum formulierte seine Ziele anlässlich der Eröffnung: «Das neue Museum im umgebauten Helmhause soll die bauliche Entwicklung der Stadt Zürich und darüber hinaus ihre soziologische und wirtschaftliche Struktur durch Ansichten, Pläne, statistische Schaubilder und andere geeignete Mittel zur Darstellung bringen. Es ist geplant im zweiten Stock eine Dauerschau einzurichten, im ersten Stock dagegen wechselnde Ausstellungen, die einzelne Sachfragen oder Zeitabschnitte behandeln, unterzubringen. Die erste dieser Schaustellungen wird sich mit der Entwicklung Zürichs seit der Stadtvereinigung von 1893 befassen.»
Rege Ausstellungstätigkeit
Das Publikumsinteresse und die Reaktionen der Presse stimmten die Verantwortlichen des neuen Museums zuversichtlich: «In hellen Scharen strömten die Besucher an diesen Spätwintertagen dem prächtigen neuen Museum zu. Schon der freie, luftige Ausblick auf die städtische Limmatlandschaft und die Bauwerke des alten Zürich, den man von den Fenstern der beiden Obergeschosse des Helmhauses aus geniesst, vermittelt einen erfrischenden Eindruck. Das Baugeschichtliche Museum der Stadt Zürich ist etwas Lebendiges, Aktuelles, keine Raritätensammlung altertümlicher Schaustücke.» Von dieser Lebendigkeit liessen sich in den folgenden vier Monaten über 61'000 Besucherinnen und Besucher anstecken. In den folgenden Jahren entwickelte sich das Helmhaus aber immer mehr zu einer allgemeinen Ausstellungsgalerie. Die baugeschichtlichen Themen traten in den Hintergrund.
Neue Verantwortlichkeiten
Die Gründung der städtischen Denkmalpflege 1958 bedeutete für das Baugeschichtliche Museum einen Neuanfang. Der Stadtrat übertrug die Ausstellungsbetreuung dem Sekretär des Stadtpräsidenten und die Leitung des eigentlichen Archivs dem späteren Leiter des Stadtarchivs. Dem Archiv selbst teilte er einen sogenannten «Wissenschaftlichen Denkmalpfleger» zu, der später zum Stadtarchäologen wurde. Das Archiv war nun mit eigenem Personal ausgestattet: einem Archivbeamten und einem Fotografen. Eng verbunden war es mit der während der 1960er-Jahre gebildeten Arbeitsgruppe Büro für Archäologie. Zu Beginn der 1970er-Jahre wurde ein Wechsel des Archivs mitsamt dem Büro für Archäologie vom Stadtarchiv ins Hochbauamt erwogen.
Der Umzug an den Neumarkt
1973 kam dann die angestrebte organisatorische Veränderung. Der Stadtrat übertrug die Leitung des Baugeschichtlichen Archivs dem Stadtarchäologen und verlegte es von der Präsidialabteilung ins Bauamt II. In dieser Konstellation bezog das Baugeschichtliche Archiv 1976 die Räume im Haus zum Rech am Neumarkt. Die Stadt hatte das Haus zum Rech eigens für das Baugeschichtliche Archiv und das Stadtarchiv erworben und umgebaut. Dank der zentralen Lage in der Altstadt und dem Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickelten sich das Baugeschichtliche Archiv und die regelmässig stattfindenden Ausstellungen im Erdgeschoss zum Anziehungspunkt für ein breites Publikum.
Neue Selbständigkeit im Amt für Städtebau
Ende der 1990er-Jahre wurde innerhalb des Hochbaudepartements neu das Amt für Städtebau gebildet. Anschliessend trennte der Stadtrat im Zug einer Reorganisation das Baugeschichtliche Archiv vom Büro für Archäologie und gliederte es als selbständigen Teil in den Bereich Archäologie und Denkmalpflege im Amt für Städtebau ein.
Seit 2010 ist es ein Kompetenzzentrum innerhalb des Amts für Städtebau. Heute pflegt das Archiv mit all den Abteilungen, zu denen es einst gehörte, weiterhin intensive Arbeitsbeziehungen.
Als Dokumentationsstelle zur baulichen Entwicklung der Stadt Zürich bietet das Archiv seine Fotografien, Bilder, Pläne und schriftlichen Dokumentationen allen an, die an Zürichs Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft forschen, planen und bauen.
Weitere Informationen
Literaturtipps:
125 Jahre Baugeschichtliches Archiv – Das Bauen an Zürich dokumentieren 1877–2002, Stadtgeschichte und Städtebau in Zürich. Schriften zu Archäologie, Denkmalpflege und Stadtplanung, Heft 3, Zürich 2002
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Fast wie in Paris – Die Umgestaltung des Kratzquartiers nach 1880, Stadtgeschichte und Städtebau in Zürich. Schriften zu Archäologie, Denkmalpflege und Stadtplanung, Heft 1, Zürich 2000
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