Kelte trifft Keltin
Über die Gräber zweier Persönlichkeiten aus Zürichs keltischer Vergangenheit, 1903 und 2017 beim Schulhaus Kern in Zürich entdeckt, liegt nun die wissenschaftliche Bearbeitung vor.
2017 stiess ein Grabungsteam der Archäologie des Amts für Städtebau anlässlich der Instandsetzung der Schulanlage Kern im Kreis 4 auf ein keltisches Frauengrab aus der Zeit um 200 v. Chr. Bereits 1903, mehr als hundert Jahre früher, war man beim Bau der Turnhalle auf ein keltisches Männergrab aus dem gleichen Zeitraum gestossen. Beide Gräber sind nun wissenschaftlich bearbeitet und zusammen in einem Fachartikel publiziert worden. Eine interdisziplinäre Auswertung entwirft ein Bild der Lebensumstände und der Siedlungsgeschichte der Kelten vor 2200 Jahren in Zürich.
Ein bewaffneter «Helvetier» im «Alamannenfriedhof»
Die Fundstelle wurde 1898 an der Ecke Stauffacher- /Engelstrasse entdeckt, als die intensive Bautätigkeit der wachsenden Industriestadt das bis anhin weitgehend «grüne» Gebiet im Aussersihl erreicht hatte. Eine weitere Grabung fand 1903 beim Bau der Turnhalle des Kernschulhauses statt. Die Fundstelle umfasst vor allem Gräber aus dem frühen Mittelalter (6. Jahrhundert n. Chr.). Nur ein einzelnes Männergrab stammte aus keltischer Zeit. Der Mann war um 200 v. Chr. mit Schwert, Schild und Lanze bestattet worden. «Wie kommt der Helvetier in den Alamannenfriedhof?» räsonierte deshalb der damalige Archäologe.
Diese in der Zeit um 1900 gemachten Entdeckungen waren der Grund, weshalb von der städtischen Archäologie im Bereich Engel-, Stauffacher- und Kernstrasse eine «Archäologische Zone» definiert wurde. Sie hatte zur Folge, dass bei der 2016 begonnenen Sanierung der Schulanlage ein Archäologen-Team vor Ort war. Die Beaufsichtigung der Baggerarbeiten hatte denn auch prompt die Entdeckung des keltischen Frauengrabes zur Folge. Während der anschliessenden sorgfältigen Ausgrabung von Hand konnten die Bauarbeiten ungehindert an anderer Stelle fortgesetzt werden.
Einer noblen Keltin auf den Zahn gefühlt
Verschiedene, von spezialisierten Fachpersonen durchgeführte Detailuntersuchungen ermöglichen Rückschlüsse auf das Erscheinungsbild und die Lebensumstände der Frau. Sie verstarb mit 35–45 Jahren, erreichte also ein für ihre Zeit überdurchschnittlich hohes Alter. Die Beisetzung erfolgte in einem Baumsarg, dem ausgehöhlten Stamm einer Eiche. Die im Grab erhaltenen Kleinstreste von Textilien, Leder und Fell weisen auf die Bekleidung der Frau hin. Dazu gehörten ein langes, mit der bronzenen Gürtelkette gegürtetes Wollkleid sowie vermutlich ein weiteres wollenes Textil und ein Mantel aus Schaffell. Eine Besonderheit ist der Brustschmuck aus farbigen Glas- und Bernsteinperlen, der mit zwei Eisenfibeln am Gewand getragen wurde.
Ein sehr aufschlussreiches Verfahren ist die Isotopen-Analyse, die anhand der Verhältnisse von bestimmten Elementen, die mit der Nahrung aufgenommen und in Knochen und Zähne eingebaut werden (Strontium und Kohlenstoff/Stickstoff), Rückschlüsse auf Herkunft, Migration und Qualität der Nahrung ermöglichen. Demnach war unsere Keltin in der Region des heutigen Kantons Zürich, vermutlich sogar im Limmattal aufgewachsen. Ihre Ernährung war gut und bestand wahrscheinlich aus reichlich Hirse und vergleichsweise vielen tierischen Produkten. Der Kariesbefall ihrer Zähne dürfte dagegen auf den regelmässigen Konsum stärkehaltiger und mit Honig gesüsster Speisen und Getränke zurückzuführen sein. An den Skelettresten, die allerdings nur spärlich erhalten waren, ergaben sich keine Hinweise auf schwere körperliche Arbeit. Diese Merkmale, aber auch die überdurchschnittliche Qualität der Grabobjekte und die Bestattung in einem Baumsarg sind Indizien für eine gehobene soziale Stellung der Bestatteten. Aufgrund ihres relativ hohen Alters könnte sie in ihrer Gesellschaft als Autorität fungiert haben.
Das keltische Zürich
Einen gehobenen sozialen Rang möchten wir auch dem keltischen Mann zuweisen, der 80 Meter vom Frauengrab entfernt mit vollständiger Waffenausrüstung bestattet worden war. Beide Personen stammen nach Aussage ihrer Objekte aus den gleichen Jahrzehnten um 200 v. Chr. Es ist also gut möglich, dass die beiden sich kannten. In der Umgebung von Zürich sind wenige weitere Gräber aus diesem Abschnitt der jüngeren Eisenzeit bekannt. Sie weisen auf verstreut liegende Weiler oder Gehöfte hin, die damals das Siedlungsbild prägten. Ein anderes Bild zeigt sich rund 100 Jahre später: In der ersten Hälfte des 1. Jh. v. Chr. entstand auf dem Lindenhofhügel das spätkeltische Oppidum, eine bereits frühstädtische Siedlung, aus der heraus sich ein halbes Jahrhundert später die römische Kleinstadt Turicum entwickeln sollte.
Publikation
Kelte trifft Keltin. Zwei Bestattungen der Mittellatènezeit an der Kernstrasse in Zürich
Julia Bucher, Patrick Eppenberger, Marlu Kühn, Viviane Mee, Andreas Motschi, Antoinette Rast-Eicher, Enrique Rayo, Frank Rühli, Roger Seiler, Luca Tori, Rouven Turck und Manuel Zürcher
Jahrbuch Archäologie Schweiz 102, 2019, 7–44.