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Wie stärkt man Zuversicht?

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Der diesjährige Tag der Kranken steht unter dem Motto «Zuversicht stärken». Damit soll der Fokus bewusst auf vorhandene Ressourcen, statt auf Einschränkungen und Mangel gerichtet werden. Zuversicht stärken ist auch uns ein Anliegen: zum Beispiel in der Aktivierung, einer besonders personenzentrierten und ressourcenorientierten Disziplin in den Gesundheitszentren.

3. März 2024

Jeannine Hofer, Gruppenleiterin Aktivierung im Gesundheitszentrum für das Alter Mathysweg
«In der Aktivierung geht es unter anderem um Erfolgserlebnisse. Indem sich die Bewohnenden selbstwirksam erfahren, stärken wir ihre Zuversicht und ihr Wohlbefinden.»
Jeannine Hofer, Gruppenleiterin Aktivierung

Jeannine Hofer ist Gruppenleiterin Aktivierung im Gesundheitszentrum Mathysweg. Sie gibt Einblicke in ihre Profession, die darauf ausgerichtet ist, Ressourcen, Fähigkeiten, Potenziale und Kompetenzen von Menschen zu erhalten, zu fördern, neu zu entdecken oder zu reaktivieren. Mit welchen Modellen und Methoden sie in der Aktivierung arbeitet und welche Wirkung sie damit erzielt, erklärt sie im Interview.

Jeannine, lass uns zum Tag der Kranken über Gesundheit reden. Ist das passend?
Unbedingt. Wir arbeiten in der Aktivierung im Sinne des Gesundheitsverständnisses mit verschiedenen Modellen, etwa mit dem Modell der Salutogenese. Gesundheit soll gemäss Salutogenese nicht als absoluter Zustand gesehen werden, sondern als Kontinuum. Niemand ist je ganz gesund – aber auch niemand ist ganz krank. Gesundheit ist fliessend: ein dynamischer, fortlaufender und mehrdimensionaler Prozess. Dabei gehören Wohlbefinden sowie Krankheit oder Missempfindungen zum Normalzustand und wechseln sich stetig ab. Zu jedem Zeitpunkt ist beides vorhanden. Das Augenmerk sollte auf den Umgang damit gelegt werden. Deshalb fragen wir uns in der Aktivierung: Was ist möglich – trotz Einschränkungen?

Worum geht es bei der Aktivierung genau?
Kurz gesagt: Es geht um den Blick auf vorhandene Ressourcen, um Erfolgserlebnisse und Sinnhaftigkeit. Menschen möchten unabhängig davon, dass sie im Alltag Unterstützung brauchen, Eigenständigkeit leben. Das Gefühl, selbstwirksam zu sei und Einfluss auf das Geschehen zu haben, kann ihre Lebenseinstellung mit Zuversicht erfüllen. Das wirkt sich auf ihre Grundhaltung aus. Wie geht jemand durchs Leben? Wie viel Zuversicht trägt ein Mensch in sich, egal was kommt? Damit sind wir genau beim Motto des diesjährigen Tags der Kranken «Zuversicht stärken».  

Wie geht ihr dabei vor?
Wir orientieren uns an verschiedenen Methoden und Modellen. Ein zentrales ist das SOK-Modell: das Modell der selektiven Optimierung mit Kompensation. Es hilft, die grösstmögliche Selbstbestimmung und Autonomie zu erreichen.

Bei der Selektion gehen wir den Fragen nach: Was gibt es für Möglichkeiten? Was ist verwirklichbar? Bei der Optimierung suchen wir therapeutische Mittel (d. h. Aktivitäten), anhand derer die gewählte Option umsetzbar ist. Und bei der Kompensation schauen wir, welcher Weg bei wegfallenden Ressourcen zum Ziel führt.

Kannst du uns das anhand eines Beispiels aufzeigen?
Natürlich. Nehmen wir als Beispiel eine Bewohnerin mit einer Makuladegeneration. Das ist eine Seheinschränkung, wie sie im Alter häufig vorkommt. Die Bewohnerin kann nicht mehr lesen wie früher, sie interessiert sich aber nach wie vor für Literatur. Bei der Selektion schauen wir in diesem Fall, welches Genre ihr gefällt: Krimis, historische Romane, Biografien. Die Optimierung befasst sich mit Optionen wie Grossdruckbüchern, speziellen Lesegeräten mit erhöhtem Kontrast oder auch Hörbüchern. Und bei der Kompensation wäre beispielsweise eine Anfrage an den Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband eine Möglichkeit, der uns regelmässig Hörbücher schicken könnte.

Deine Arbeit teilt sich in zwei Bereiche, wie unterscheiden sie sich?
Genau, wir arbeiten in den Bereichen Aktivierungstherapie und aktivierende Alltagsgestaltung. Die Aktivierungstherapie übernehmen wir Therapeut*innen allein – für Einzelpersonen oder Gruppen. Wir arbeiten mit übergeordneten Richtzielen und mit Feinzielen, die entweder auf die Gruppe oder auf einzelne Personen abgestimmt sind. Dabei nutzen wir Aktivitäten wie Musik oder Themen als therapeutische Mittel, um Ressourcen wie beispielsweise die Erinnerungsfähigkeit möglichst lange zu erhalten. Hier unterstützen uns – wie auch in der Alltagsgestaltung – Sinneseindrücke. Denn Sinneserlebnisse wecken Emotionen. Emotionen sind das, was bis zum Schluss bleibt, auch wenn die Erinnerungen vielleicht verschwinden.

Anhand des SOK-Modells können wir die sechs Dimensionen eines Menschen ausbalancieren:

  • Körperlich
  • Geistig
  • Seelisch
  • Spirituell
  • Sozial
  • Kulturell

Und die Alltagsgestaltung?
Bei der Alltagsgestaltung geht es um Zuwendung, um das bewusste Hereinholen von Natur, um die Struktur des Alltags und darum, den Kontakt zu anderen zu ermöglichen. Dabei beziehen wir möglichst viele Berufsgruppen mit ein. Ich leite zum Beispiel die Pflege in der aktivierenden Alltagsgestaltung an. Aber auch andere Fachrichtungen wie etwa der technische Dienst sind hier gefragt. Alle, die bei uns im Haus mit den Bewohnenden zu tun haben. Daneben schulen wir auch unsere Freiwilligen und Lernenden.

Wie greifen die beiden Bereiche ineinander?
Aktivierungstherapie und Alltagsgestaltung ergänzen sich gegenseitig. In der Aktivierung geht es um weit mehr als «das bisschen Malen». Es geht darum, Möglichkeiten zu ergründen, um weiterhin Einfluss auf das eigene Leben zu nehmen und es zu gestalten. Wir versuchen in der Aktivierung ein Gefühl zu schaffen, das im Alltag nachhallt. Darum freut es uns, wenn im Rahmen der Aktivierungstherapie Dinge wieder möglich sind, die in anderen Settings nicht mehr gingen.

Wie ermöglicht ihr Erfolgserlebnisse?
Wir wollen Ressourcen erhalten, fördern, reaktivieren und fordern. Beim Reaktivieren holen wir etwas hervor, was die Bewohnerin oder der Bewohner mal mochte, aber inzwischen aufgegeben oder zwischenzeitlich vergessen hat. Zum Beispiel das Malen. Seidenmalen eignet sich gut, da es sich auch mit starker Seheinschränkung noch umsetzen lässt. Mit den verschiedenen Farben und Formen bietet die Technik ein vielschichtiges Sinnerleben für die Seele. Und wenn dann am Ende ein Kompliment für einen schönen Schal dabei herauskommt oder die Ergebnisse in einer Vitrine präsentiert werden, ist das ein sehr schönes Erfolgserlebnis.

Wo siehst du die grösste Herausforderung bei deiner Arbeit?
Ich sage gerne, wenn eine Gruppe von aussen harmonisch wirkt, machen wir eine gute Arbeit. Denn die bunt zusammengewürfelten Gruppen sind natürlich nicht homogen. Darum brauchen wir sehr viel Feingefühl. Bei uns allen kann das Befinden im Kontinuum Gesundheit wechseln. Bei den Bewohnenden hier wechselt es, je nach Krankheitsbild, zum Teil in Sekundenschnelle. Es ist dann unsere Aufgabe, die Dynamik in der Gruppe zu stabilisieren. Wir fangen Entwicklungen ab und sorgen dafür, dass alle im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Wünsche einbezogen werden.

Wann bist du zufrieden mit deiner Arbeit?
Wenn wir den Menschen das Gefühl geben können, dass sie gehört werden und ihnen ein Lachen ins Gesicht zaubern. Wenn sie merken, dass sie wichtig sind und hier ihren Platz haben. Und natürlich, wenn wir die Selbstwirksamkeit der Bewohnenden stärken können und sie dadurch Autonomie und Erfolgserlebnisse gewinnen. Die Bewohnenden wollen sich körperlich spüren, sie wollen geistig gefordert werden. Mit unserer Arbeit sorgen wir dafür, dass alle, die mitmachen wollen, einbezogen werden. Diese Begegnungen können einen Einfluss auf den ganzen Tag der Bewohnenden haben. Das bemerken dann auch die anderen Berufsgruppen, die mit ihnen zu tun haben.