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Exzellenz in der Pflege: So gelingt Shared Governance

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Shared Governance ist in aller Munde: Was braucht es, um den Ansatz erfolgreich umzusetzen? Claudia Kuster, Leiterin Pflegedienst, und Edith Holik, Pflegeexpertin, geben Einblicke in ihre Erfahrungen und Erkenntnisse im Gesundheitszentrum für das Alter Gehrenholz.

12. Juni 2024

Claudia Kuster, Leiterin Pflegedienst, und Edith Holik, Pflegeexpertin
«Fach, Bildung und Führung bereiten zusammen den Boden, auf dem gute Pflege stattfinden kann. Zum Wohl der Bewohnenden, aber auch der Mitarbeitenden.»
Claudia Kuster, Leiterin Pflegedienst, und Edith Holik, Pflegeexpertin

Der Führungsansatz der Shared Governance sieht vor, Mitarbeiter*innen aus Fach, Bildung und Führung gezielt in Entscheidungsprozesse miteinzubinden und ihnen Verantwortung zu übertragen. Die Organisation stärkt so die Stellung und den Verantwortungsspielraum der einzelnen Bereiche. Das Ergebnis sind Entwicklungschancen für Mitarbeitende und beste Pflegequalität im Betrieb.

Claudia Kuster, Leiterin Pflegedienst, und Edith Holik, Pflegeexpertin im Gesundheitszentrum Gehrenholz, zeigen auf, wie sie den Ansatz bei sich umsetzen und was das für die Zusammenarbeit bedeutet.

Wie seid ihr auf Shared Governance gekommen?
Claudia Kuster (CK): Plakativ gesagt: Shared Governance ist das Gebot der Stunde. Viele Betriebe sagen, dass sie nach dieser Führungsphilosophie arbeiten. Zumindest in der Theorie. Als ich vor zwei Jahren ins Gesundheitszentrum Gehrenholz kam, hiess es, wir arbeiten nach Shared Governance. So stand es auf dem Papier, gelebt wurde der Ansatz jedoch nur zum Teil. Also habe ich das Pflege-Führungsteam gefragt: Wollen wir das wirklich machen? Die Antwort war eindeutig.

Edith Holik (EH): Ich hatte das Projekt zuvor bereits am Schweizer Pflegekongress vorgestellt und merkte, dass grosses Interesse daran bestand. Viele Teilnehmende kamen nach dem Kongress mit Fragen auf mich zu. Zumeist ging es darum, wie der Ansatz in der Praxis konkret umgesetzt werden kann.  

Worin seht ihr die Schwierigkeit bei der Umsetzung?
CK: Die zentrale Frage ist: Will die Führung wirklich Verantwortung abgeben? Der Ansatz kann nur funktionieren, wenn die Bereitschaft dazu da ist. Solange die Meinung vorherrscht: Am Ende entscheide ich als Chefin, kann es nicht funktionieren. Shared Governance heisst, dass die Verantwortung gemeinsam getragen wird. Fach, Bildung und Führung bereiten zusammen den Boden, auf dem gute Pflege stattfinden kann. Zum Wohl der Bewohnenden, aber auch der Mitarbeitenden.

Wie seid ihr bei der Umsetzung vorgegangen?
EH: Wir haben uns zu viert ausgetauscht (die Führung ist bei uns mit zwei Personen vertreten, Fach und Bildung mit je einer) und Inputs gesammelt. Im Anschluss haben wir die Themen entsprechend unserer Expertise aufgeteilt und Shared Governance auf der übergeordneten Ebene eingeführt, gelebt und praktische Erfahrungen damit gesammelt. Auf unserer Stufe ist der Ansatz dadurch greifbar geworden und wir sind im Rollenbewusstsein einen grossen Schritt weitergekommen. Verantwortung abzugeben oder zu übernehmen, ist nicht einfach: Man muss sich untereinander gut kennen, damit das Zusammenspiel gelingt.  

Warum habt ihr euch für eine schrittweise Einführung entschieden?
EH: Shared Governance von jetzt auf gleich im gesamten Betrieb umsetzen zu wollen, halten wir für schwierig. Denn wenn es keine Rollenvorbilder gibt, an denen man sich orientieren kann, ist die Gefahr gross, dass man sich verliert. Darum haben wir uns ein Jahr Zeit genommen, um den Ansatz auf der obersten Ebene zu etablieren. Nun rollen wir ihn nach und nach auf den gesamten Betrieb aus.

CK: Wir wollten erst ein Gefühl dafür bekommen, was es heisst, gemeinsam Verantwortung zu tragen: Wo gebe ich etwas ab? Wo übernehme ich mehr? Wo sind wir alle gefragt? Wer muss zu welchen Fragen Stellung beziehen? Wir haben ein gemeinsames Verständnis dafür geschaffen, wo eine Aufgabe hingehört, und können diese Sicherheit nun weitergeben. Der Top-down-Ansatz war für uns richtig. Wir haben so die Grundlage für die nächste Stufe gelegt und sind auf einem wirklich guten Weg.

Was ist neben der Rollensicherheit zentral für Shared Governance?
CK: Ein klarer Rahmen. Die Mitarbeitenden müssen wissen, in welchem Rahmen sie sich frei bewegen können und wofür sie die Verantwortung tragen. Es ist an uns, diesen Rahmen zu definieren.

EK: Dadurch entsteht für viele Mitarbeitende ein vollkommen neues Rollenbild, in das sie hineinwachsen können. Ich möchte meinen Mitarbeitenden nichts überstülpen, sondern ihnen ermöglichen, ihren eigenen Weg zu finden. Dafür ist ein klarer Verantwortungsrahmen absolut zentral.

Was bedeutet Shared Governance für euch als Vorgesetzte?
CK: Wir müssen uns überlegen, wie wir die Mitarbeitenden befähigen können, damit sie in ihrem Bereich wachsen können. Als Vorgesetzte geben wir nicht nur Verantwortung ab, wir verabschieden uns auch von der Vorstellung, wie die Umsetzung auszusehen hat. Am Ende muss ich mit dem Resultat zufrieden sein, über den Weg dahin habe ich nicht zu entscheiden. Ich kann zwar beim Resultat nachjustieren, aber von Grund auf den Weg infrage stellen, geht nicht. Ich kann nachfragen, auch kritisch – aber ich gebe den Weg nicht vor. Shared Governance hat also viel mit Befähigen und Loslassen zu tun.

EK: Das sehe ich auch so. Diese Möglichkeit, zu wachsen, erfüllt die Mitarbeitenden mit Freude und Stolz.

Wie erlebt ihr eure neue Funktion?
CK: Sehr positiv. Ich sehe meine Aufgabe eher im Coaching. Resultatbezogen eingreifen muss ich selten. Ich frage darum oft: Was brauchst du noch, um die Aufgabe zu erledigen? Kommunikation und Austausch sind sehr wichtig. Man muss wissen, wo der andere steht. Wie können wir alle zusammen erfolgreich sein? Nicht ich möchte erfolgreich sein, sondern wir! Wir wollen das Beste für unsere Bewohnenden und Mitarbeitenden.

EH: Für mich geht es darum, ein Gleichgewicht zu finden. Es ist ein Miteinander, das für beide Seiten stimmen muss. Natürlich gibt es noch Situationen, in denen ich nachfragen muss. Aber es fällt uns immer leichter, das Gleichgewicht zu finden.

Wie geht es nun weiter?
CK: Wir möchten Shared Governance stufenweise weiter auf alle Funktionen ausrollen und auf jeder Stufe den Boden dafür bereiten, dass Verantwortung abgegeben werden kann. Unser Ziel ist es, dass am Ende alle Mitarbeitenden von Shared Governance profitieren können. Es soll nicht auf einer bestimmten Ebene aufhören. Jede Personengruppe soll im Rahmen ihres Aufgabenbereichs in der Übernahme von Verantwortung gestärkt werden. Mit Shared Governance macht jede Rolle nochmals eine Entwicklung durch.  

Wie fasst ihr eure bisherigen Erfahrungen mit Shared Governance zusammen?
CK: Gemeinsam am Erfolg zu arbeiten, bereitet Freude. Als Leiterin Pflegedienst gebe ich Verantwortung an Edith ab. Ich übergebe ihr ein Feld, das sie bestellen darf. Ich möchte, dass sie erfolgreich ist und wachsen kann. Meine Aufgabe ist es, sie dabei bestmöglich zu unterstützen. Wenn das gelingt, ist es einfach cool, so zu arbeiten, Ediths Erfolg zu sehen und daran teilzuhaben Es erfüllt mich mit viel Stolz, wenn meine Mitarbeiter*innen erfolgreich sind.

EH: Ich erlebe Shared Governance auch als sehr positiv. Ich übernehme gerne Verantwortung und schätze es, dass Claudia mich machen lässt. Trotzdem fühle ich mich nicht allein. Ich kann mich mit den anderen jederzeit austauschen und Feedback einholen. Das gibt mir Gestaltungsfreiheit, aber gleichzeitig auch Sicherheit. Je länger wir diesen Ansatz leben, desto besser ist unser Gespür füreinander. Das empfinde ich als sehr schön. So kann ich mit meiner Fachlichkeit argumentieren und weiss, dass die anderen hinter mir stehen.