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Exzellenz in der Pflege: Lean und Kaizen im Käferberg

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Die Optimierungsphilosophien Lean und Kaizen haben das Schweizer Gesundheitswesen schon vor über zehn Jahren erreicht – allerdings vor allem im akutsomatischen Bereich. In Langzeitinstitutionen waren sie lange nicht vertreten. Sandra Rudolph gibt Einblicke in ein Pilotprojekt im Gesundheitszentrum für das Alter Käferberg.

30. Mai 2024

Sandra Rudolph
Sandra Rudolph, ehemals Leiterin Qualitätsmanagement und Organisationsentwicklung im Gesundheitszentrum für das Alter Käferberg

Mit dem Ziel, die Qualität und Effizienz der Prozesse weiter zu erhöhen, hat das Gesundheitszentrum für das Alter Käferberg 2022 ein Projekt zur Umsetzung und nachhaltigen Verankerung von Lean und Kaizen gestartet. Die Prinzipien Lean und Kaizen setzen auf Optimierungen in Unternehmen dank einer Verschlankung oder schrittweisen Verbesserungen.

Wissenschaftlich begleitet wurde die Umsetzung von einem Team aus dem Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Prof. Dr. Alfred Angerer und Katharina Demmel haben Vorgehensweise und Ergebnisse in einem Beitrag für die Zeitschrift Pflegerecht veröffentlicht. Sandra Rudolph, die das Projekt als Leiterin Qualitätsmanagement und Organisationsentwicklung im Gesundheitszentrum Käferberg geleitet hatte, erzählt von den wichtigsten Schritten, Stolpersteinen und Erfolgen.

Sandra, wie kam es zum Projekt «Lean und Kaizen im Käferberg»?
Anfang 2022 hatte die damalige Leiterin HR, Iria Lacarta, das Prinzip in der Bewohnendenadministration eingeführt. Als sie in einer Sitzung darüber berichtete, entstand im Leitungsteam die Idee: Das müssen wir unbedingt grösser aufziehen. Mir war wichtig, zudem jemanden mit vertieftem Know-how im Gesundheitswesen an unserer Seite zu haben, der das Projekt wissenschaftlich begleitet. Hier kamen Patrick Betz und Prof. Dr. Alfred Angerer von der ZHAW ins Spiel.

Wie hast du das Projekt aufgegleist?
Zunächst haben wir in einem Kick-off-Workshop die Kaizen-Philosophie und die Tools kennen gelernt und beim Kader das Committment für diesen Weg abgeholt. Wir haben zwei Pflegeabteilungen und einen weiteren Bereich gesucht, die sich für ein Pilotprojekt zur Verfügung stellen. Zum Projektstart haben Kaizen-Expert*innen die beiden Pflegeabteilungen und den Bereich Ausbildung und Weiterbildung im Alltag begleitet, um sich ein Bild zu machen. Im Team haben wir die Erkenntnisse daraus reflektiert und die Hotspots eruiert.

Was habt ihr mit den Ergebnissen gemacht?
Im Rahmen von Workshops werteten wir das Optimierungspotenzial schrittweise aus. Dabei stand stets die Frage im Zentrum: Wo sehen wir die höchste Wirksamkeit? Basierend darauf haben wir Massnahmen formuliert und entwickelt.

Wie habt ihr Kaizen in der Organisation verankert?
Wir wollten sicherstellen, dass das Optimierungsthema und die Philosophie dahinter nachhaltig in der Organisation Einzug halten und nicht mit Projektabschluss versanden. Zu diesem Zweck haben wir im Betrieb Kaizen-Expert*innen aus verschiedenen Bereichen ausgebildet. Sie stehen allen Mitarbeitenden für Fragen zu Kaizen zur Verfügung und trugen in der Startphase bei ihrer Arbeit blaue Buttons. Zudem haben wir alle Mitarbeitenden eingeladen, sich einzubringen. Sie kennen sich im Tagesgeschäft am besten aus – ihr Wissen ist für die Optimierung von Prozessen von unschätzbarem Wert.

Wie habt ihr die Ideen der Mitarbeitenden abgeholt?
Wir haben dafür auf den Abteilungen ein Kaizen-Board etabliert mit den Spalten Idee, Umsetzung und Ergebnis. Die Mitarbeitenden konnten darauf festhalten, wenn sie eine Zeitverschwendung sehen. Das ist immer ein guter Anhaltspunkt: Wo werden Ressourcen nicht kompetenzgerecht eingesetzt? Wo haben wir unnötige Prozessschritte? Wer eine Idee hat, schreibt zudem auch einen Lösungsansatz auf. Ideen mit grossem Potenzial werden dann umgesetzt: Als zusätzlichen Ansporn und als Zeichen der Wertschätzung gibt es jeweils ein Frühstück für das gesamte Team, wenn der Vorschlag eines Mitarbeitenden umgesetzt wird.

Wie habt ihr den Überblick über die verschiedenen Massnahmen behalten?
Die Verbesserungen wurden in einem zentral abgelegten Dokument aufgelistet und sind für alle Mitarbeitenden über das Kaizen-Icon auf dem Desktop von jedem PC aus einsehbar. Im Dokument ist zudem festgehalten, auf welchen Grundsatz aus dem Leitbild der Gesundheitszentren für das Alter eine Verbesserung einzahlt. Zum Beispiel Fachkompetenz oder sorgfältiger Umgang mit Ressourcen.

Welchen Vorteil hat eine zentrale Erfassung aller Massnahmen?
Zum einen war uns wichtig, transparent zu sein. Zum anderen können die verschiedenen Abteilungen auf diese Weise voneinander profitieren. Sie sehen, welche Verbesserung wo eingeführt wurde und können manches davon auch auf die eigene Abteilung übertragen.

Wo siehst du die grösste Herausforderung für eine Langzeitinstitution oder konkret für den Käferberg?
Die grösste Herausforderung ist, dass Kaizen nicht nebenherläuft und in der Startphase zusätzlich Ressourcen beansprucht. Kaizen ist kein Projekt mit Anfang und Ende. Es ist eine Philosophie, eine Haltung, die in den Alltag integriert werden soll, um sich festigen zu können. Sie muss Teil der DNA der Organisation werden. So ist sichergestellt, dass der Ansatz längerfristig gelebt wird und nicht verschwindet, wenn zum Beispiel eine Schlüsselperson die Organisation verlässt.

Kannst du uns Beispiele von Verbesserungen nennen?
Ein gutes Beispiel ist das Hotellerie-Telefon. Oft wurden Anfragen an die Tagesverantwortlichen aus der Pflege herangetragen, die nicht kompetenzgerecht waren. Wir haben die Störungen in der Pflege gemessen und in zwei Abteilungen probeweise Telefone installiert für alle Anrufe aus dem technischen Dienst, aus der Küche oder vom Empfang. Sämtliche Hotellerie- und Supportthemen gingen somit nicht mehr an die Tagesverantwortlichen, sondern direkt an die C-Level-Person auf der Abteilung. Dabei ging es zum Beispiel um den Transport einer Bewohnerin vom Coiffeur zurück auf die Abteilung. Die Zeitersparnis war so gross, dass dieses System auf allen Abteilungen eingeführt wird, um Aufgaben kompetenzgerecht neu zu organisieren.

Was sind für dich die wichtigsten Erkenntnisse?
Wenn jeder für sich wurstelt, kriegen wir es nicht hin. Optimierungen können nur gelingen, wenn wir gemeinsam daran arbeiten. Auch ganz kleine Ideen sind wertvoll. Denn viele kleine Schritte ergeben etwas Grosses. Wir sind nach dem Motto «einfach machen» vorgegangen – im doppelten Sinn: einfach mal loslegen und Abläufe vereinfachen. Und es ist wichtig, laufend darüber zu reden. Kaizen muss ein stehendes Traktandum sein in Sitzungsgefässen auf allen Stufen.

Hast du auch schwierige Erfahrungen gemacht?
Klar, es gab zwischendurch immer mal wieder ein Tief in den Bereichen und Abteilungen. Dann bin ich jeweils hingegangen und habe mit den Teams reflektiert, was gut gelaufen ist, was gefehlt hat und wie es weitergehen könnte. So ein Boxenstopp und die Unterstützung der Führung sind matchentscheidend dafür, dass die Motivation der Mitarbeitenden wieder steigt und eine gemeinsame Haltung entsteht. Kreativität und Leichtigkeit sind ebenfalls eine gute Idee, um wieder in den Flow zu kommen. Im Kaizen-Expert*innen-Team haben wir so im Rahmen einer Zukunftswerkstatt unser Kaizen-Logo kreiert. Das sind Sequenzen, die verbinden und in Erinnerung bleiben.

Was erwiderst du, wenn jemand einwendet, man habe keine Ressourcen für Kaizen?
Man darf natürlich nicht unterschätzen, dass der Ansatz in der Anfangsphase Ressourcen benötigt, zum Beispiel, um die Mitarbeitenden ins Boot zu holen. Doch schon mein Professor in BWL hat gesagt: Kein Gewinn ohne Investition. Kaizen lohnt sich, denn der Gewinn ist enorm: nicht nur in Bezug auf Zeit und Finanzen, auch die Mitarbeitendenzufriedenheit steigt durch den Einbezug sowie die gemeinsame Entwicklung und Umsetzung von Ideen.

Sandra, du arbeitest inzwischen nicht mehr im Käferberg, sondern bist als Fachspezialistin Organisationsentwicklung dem zentralen HR der Gesundheitszentren angegliedert. Was bedeutet das für Kaizen?
Nun, Kaizen lebt weiter und verbreitet sich – dank dem Engagement der Mitarbeitenden, der Führungskräfte und insbesondere der Kaizen-Expert*innen im Käferberg. Im März und April haben wir im Käferberg zwei Workshops für weitere Gesundheitszentren der Region Nord durchgeführt. Die Führungskräfte der Betriebe konnten erste Eindrücke gewinnen, haben selbst in ihren Häusern Gemba-Walks (A. d. R.: Arbeitsplatzbegehungen mit dem Ziel, Mitarbeitende bei der Arbeit zu beobachten und sie nach Verbesserungsmöglichkeiten zu fragen) durchgeführt und beim zweiten Workshop ihre Verbesserungspotenziale konkret mit den Kaizen-Tools bearbeitet. Es war sehr eindrücklich zu sehen, wie durch eine gemeinsame Visualisierung in kürzester Zeit Lösungsvorschläge entstanden, die uns künftig viel Zeit sparen werden. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir bei den Gesundheitszentren weiter in Kaizen investieren und unser Unternehmen in diese Richtung weiterentwickeln.