
Das Fraumünsterquartier in der City erstreckt sich zwischen der Limmat und der Bahnhofstrasse vom See bis zum Fraumünster. Das Gebiet ist für die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der ganzen Stadt von Bedeutung.
Einblicke in die Arbeit der Archäolog*innen bei den Ausgrabungen im Fraumünsterquartier.
Das Fraumünsterquartier mit seinen repräsentativen Neorenaissance-Bauten ist erst vor etwas mehr als 100 Jahren entstanden. Vorher musste ein ehemaliges Altstadtquartier – das Kratzquartier – weichen. Die ältesten Siedlungsspuren im Fraumünsterquartier gehen ins 8./9. Jahrhundert zurück. Ab dem 10./11. Jahrhundert wird das Gelände südlich der Fraumünsterabtei bebaut. Die Vergangenheit des Quartiers steht in enger Beziehung zur Fraumünsterabtei.
Die Besiedlung und Bebauung des mittelalterlichen Kratzquartiers erfolgte in mehreren Ausbauphasen, vom Frühmittelalter über das Hochmittelalter bis in die frühe Neuzeit. Vorher wurde das Gebiet regelmässig vom See überschwemmt. Zwischen den Überschwemmungsschichten finden sich Spuren einer ersten frühmittelalterlichen Besiedlung im 6. Jh.
Eine Auswahl interessanter Funde aus verschiedenen Zeitphasen werden vorgestellt, so unter anderem ein Fragment eines hölzernen Daubenbechers und eine steinerne Gussform für einen runden Anhänger (Pilgerzeichen), beide aus dem Mittelalter.
Vor der Nationalbank kamen wie erwartet Reste der mittelalterlichen Stadtmauer zum Vorschein. Unmittelbar vor der Stadtmauer kamen überraschenderweise überaus fundreiche Abfallschichten zum Vorschein. Wegen einer darüberliegenden, um 1540 eingebrachten Aufschüttung kann das Fundmaterial in die Zeit davor – wohl mehrheitlich ins Spätmittelalter – datiert werden.
Da wo heute das Stadthaus steht, lagen bis um 1900 die Klostergebäude der ehemaligen Fraumünsterabtei. Deren Vorsteherin, die Äbtissin, war bis zur Reformation auch Stadtherrin von Zürich. Heute sind nur noch die Kirche und der Kreuzgang der einst mächtigen Abtei zu sehen. Überblick zum Fraumünsterkloster: Geschichte, Gründungslegende, Anlage und zugehöriger Bestattungsplatz.
Wie erwartet stiessen die Ausgräberinnen und Ausgräber bei den baubegleitenden archäologischen Ausgrabeungen im Fraumünsterquartier auf die Spuren des im 19. Jahrhundert abgebrochenen Kratzquartiers. Immer wieder kam Überraschendes dabei zu Tage, so die Klostermauer, wenige Zentimeter unter dem aktuellen Strassenbelag vor dem Stadthaus. Oder Herausragendes, wie ein mittelalterlicher Gussformtrocknungsofen an der Fraumünsterstrasse, den man möglicherweise für die Herstellung einer Glocke verwendet hatte.
Bei den Ausgrabungen im Fraumünsterquartier 2013–2014 wurde im Bereich der Börsenstrasse ein (Pilger)Abzeichen aus dem Spätmittelalter gefunden. Es zeigt Kaiser Karl den Grossen bei der Hirschjagd und der anschliessenden Auffindung der Gräber von Felix und Regula.

Das nur 4 cm grosse Abzeichen aus Metall zeigt einen Reiter auf seinem Pferd. Das reich geschmückte Pferd sinkt mit nach vorne geneigtem Körper in die Knie, wie das umgebogene linke Vorderbein zeigt. Die untere Hälfte des rechten Beins ist leider abgebrochen. Der Reiter – aufgrund der Krone ein Kaiser oder König – trägt ein modisches, eng geschnittenes Wams, gewellte, halblange Haare umgeben ein bartloses Gesicht. Das Abzeichen konnte mit zwei gegenständigen Nadeln auf der Rückseite an einem festen Stoff wie Filz oder Wolle befestigt werden.
Der Legende nach jagte Karl der Grosse von Köln her kommend tagelang einer weissen Hirschkuh nach. Diese kniete beim heutigen Grossmünster nieder und sogleich taten es ihm die Hunde und Pferde der Jagdgesellschaft nach. Nachdem ihm berichtet wurde, dass hier etliche Heilige begraben lägen, liess Karl nach den Gräbern suchen und die Gebeine von Felix und Regula sowie Exuperantius erheben.
Die Szene auf dem Abzeichen ist mit der Darstellung auf dem Stifter-Kapitell im Grossmünster vergleichbar, das in die Mitte des 12. Jahrhundert datiert. Dieses Kapitell legitimierte das Grossmünster als Gründung Karls des Grossen und ist dessen früheste Darstellung in Zürich.
Nach seiner Heiligsprechung im Jahr 1165 waren seit dem 13. Jahrhundert auch Reliquien Karls verfügbar, ab 1233 besass das Grossmünster einen Daumen Karls. In der Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde Karl auch in den übrigen Zürcher Kirchen als Heiliger verehrt, und Karls Bild erschien auf Zürcher Münzen. Im Spätmittelalter erhielt Karl eine auf Zürich zugeschnittene Biografie, und in den 1480er Jahren entstand die überlebensgrosse Sitzstatue am Südturm (heute Kopie von 1935).
Gefunden wurde das Abzeichen in der Börsenstrasse auf der Höhe der Hausnummer 14. Es stammt aus einer siltigen Schicht, die sich zwischen der Stadtmauer des 13. Jahrhunderts und dem See abgelagert hatte. Bei den Funden aus der Schicht handelt es sich um Haushaltsabfall aus dem Kratzquartier, der in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts dort abgelagert wurde.
Das Abzeichen ist eines der ersten Zeugnisse der individuellen Verehrung Karls. Es wirft neue Fragen auf: Ist es als Beleg für regelrechte Wallfahrten zu Karls Reliquien zu lesen? Und wurde es im Umfeld des Gross- oder des Fraumünsters hergestellt und verkauft?
Einen besonderen Fund machte die Archäologie 2008/09 bei Ausgrabungen an der Zürcher Fraumünsterstrasse: Ein 900-jähriges Schmuckstück aus Gold, das einen Vogel darstellt.

Der Fund von der Fraumünsterstrasse ist aussergewöhnlich. Zum Vorschein kam ein kleines, etwa 2,5 cm grosses Schmuckstück aus Gold, das einen kleinen Vogel – wahrscheinlich einen Adler – darstellt. Der Vogel sitzt auf einem Ast und hält im Schnabel eine goldene Scheibe. Aussparungen bei den Augen, auf dem Flügel, beim Ast und vielleicht auch an der Scheibe, legen die Vermutung nahe, dass an diesen Stellen Plättchen aus Email, vielleicht auch Edel- oder Halbedelsteine eingelegt gewesen sind, die nun aber fehlen. Das Schmuckstück besteht aus einem dünnen Goldguss als Unterlage, auf dem ein feiner, filigran gedrehter Golddraht die Konturen der Figur modelliert. Das Werkstück ist ausgesprochen qualitätsvoll und dürfte als Halsketten-Anhänger einer vornehmen Frau gehört haben und etwa 900 Jahre alt sein.
Ein solcher Fund ist ausgesprochen selten und entsprechend bedeutend. Das Fraumünster war im Mittelalter ein Kloster, in dem vor allem Damen aus dem Hochadel der weiteren Region Einsitz als Nonnen hatten. Das Schmuckstück passt damit gut in dieses vornehme Umfeld, auch wenn es kaum direkt von einer dieser Klosterfrauen getragen worden sein wird.
Eng und verwinkelt standen im 19. Jahrhundert die Häuser entlang der schmalen Kappelergasse, gegenüber erstreckten sich Oekonomiebauten des Fraumünsteramtes. Nach dem Totalabbruch entstanden ab den 1890er Jahren die heutige breite Kappelergasse mit Stadthaus, Fraumünsterpost und bürgerlichen Wohnhäusern.
1898–1901 wurden die Abteigebäude des Fraumünsters inklusive dem Kreuzgang vollständig abgebrochen. An ihrer Stelle realisierte der Stadtbaumeister Gustav Gull das neue Stadthaus und eine öffentliche kreuzgangartige Passage.
«Immer schneller ging und geht es mit der Korrektion des Kratzes. Hinter den Zentralhof legt sich ein neues, noch grösseres und schöneres Häuserquarré, das des Kappelerhofes. Entschieden! Das Westende der ‹kleinen Stadt›, früher eine halbe Wüste und Einöde, wird zur Grossstadt Zürich [...].» Die Bildstrecke zeigt einen Überblick über die Umgestaltung des Kratzquartiers im 19. Jahrhundert.
Der dreieckige Platz im Süden des alten Kratzquartiers wurde in den 1540er Jahren aufgeschüttet und diente als Werkhof für die Steinmetze und Zimmerleute. Wenig später entstanden dort das Bauhaus – Wohnsitz des jeweiligen Bauherrn (Bauvorsteher) – und die Steinmetzhütte. Von 1803 bis zu ihrem Abbruch 1886 wurden die beiden Gebäude als Stadthaus und Bauhütte genutzt.
1897 brach die letzte grosse Bauetappe im alten Kratzquartier an. Das ehemalige Kornhaus am Ufer der Limmat sowie die gesamten Abteigebäude des Fraumünsters wurden abgebrochen. Anstelle der Abtei entstand das neue Stadthaus.
Dort wo heute der Neurenaissancepalast Stadthausquai 1–7 steht, plätscherte anfangs des 19. Jahrhunderts noch der Zürichsee. Die Stadthausanlage und der Bürkliplatz wurden auf aufgeschüttetem Land angelegt. Nach dem Abbruch des Kratzquartiers fand das «Sächsilüüte-Füür im Chratz» auf dem neuen Platz gegen den See statt.
«Jeden Freitag war Wochenmarkt für Kleider, Hüte, Schuhe, nebst Geschirr, Körben und Küblerwaren auf dem weiten Platz vor dem Stadthaus im Kratz» hielt ein ehemaliger Bewohner des Kratzquartiers 1956 in seinen Jugenderinnerungen fest. Die Marktstände bestanden aus einfachen Holzgerüsten und waren mit Brettern gedeckt.
Ab 1919 wurde das letzte Grundstück im neuen Stadthausquartier überbaut. An prominenter Lage zwischen Bahnhofstrasse, Börsenstrasse und Fraumünsterstrasse, als krönender Abschluss des Quartiers gegen den See, entstand in dreijähriger Bauzeit der monumentale, aber schlichte Kubus der Schweizerischen Nationalbank.
«Du hast keinen Begriff, was jetzt von morgens 6 Uhr bis abends 7 Uhr stets fort für ein Gehämmer u. Geklopf ist hier vor meinem Fenster auf dem einst so wunderschönen Stadthausplatz, dazu dringt immerfort ein solcher Gestank von Theer und Steinkohlen herein, dass es keine Freude mehr ist, da zu sitzen. Es ist ein Jammer.» (Aus einem Brief von Johanna Spyri an Familie Kappeler, 4.6.1882).
Zehn Jahre lang konnte sich Johanna Spyri der Aussicht auf den Stadthausplatz erfreuen, nachdem sie 1868 zusammen mit ihrem Mann, dem Stadtschreiber Johann Bernhard Spyri, eine Amtswohnung im Stadthaus bezogen hatte. Ab 1878 begannen in ihrer Nachbarschaft die Häuserabbrüche, die schliesslich vom Kratzquartier nichts mehr übrig lassen sollten. Da auch für das Stadthaus Abbruchpläne bestanden, musste Johanna Spyri 1885 die dortige Wohnung verlassen.
Im Stadthaus am Stadthausplatz, im Zentrum Zürichs, sind zahlreiche Werke der Autorin Johanna Spyri entstanden. Am bekanntesten ist das zweibändige Heidi-Buch, «Heidis Lehr- und Wanderjahre» und «Heidi kann brauchen, was es gelernt hat». Das erste schrieb Spyri 1879 und veröffentlichte es im Dezember dieses Jahres vordatiert auf 1880. Das zweite erschien 1881, nun unter dem vollen Namen der Autorin.
In der Nacht vom 11. auf den 12. April 1874 geschah im Helfereigässchen vor dem an den Stadthausplatz stossenden Haus zum Spinnhof ein Verbrechen, das die Zürcher Bevölkerung schockierte. Der im Spinnhof wohnhafte Heinrich Isler, Mitglied des Parlaments, alt Direktor der Dampfschifffahrt auf dem Zürichsee und Direktor der Uetlibergbahn, wurde beim Öffnen der Haustüre von hinten erstochen.
Die am Tatort zurückgelassene Tatwaffe, ein Stockdegen (Spazierstock mit herausziehbarem Degen), führte die Polizei zu deren Besitzer Billoin, einem beschäftigungslosen «Abenteurer», der seit einiger Zeit im Hotel Bellevue wohnte. Dieser wurde verhaftet und später in einem Prozess verurteilt. Schon früher hatte er versucht, Männer dafür zu gewinnen, gegen Geld den Dampfschiffdirektor zu verprügeln. Der Konflikt scheint daraus entstanden zu sein, dass sich beide für dieselbe Serviertochter im Restaurant Tonhalle interessierten. Der Prozess gegen Billoin war einer der ersten, in dem aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens eine verminderte Zurechnungsfähigkeit zugebilligt wurde.

Im Kratzquartier waren um die Mitte des 19. Jahrhunderts auch «d'Honeggere» zu Hause, eine damals in Zürich sehr beliebte Musikkapelle. Sie erfreuten an öffentlichen Vergnügungsorten wie z.B. dem Stadtcasino am Hirschengraben die Zuhörerschaft. Man engagierte sie aber auch in den besten Kreisen.
Ein im Hotel Baur (en Ville) am Paradeplatz gastierendes Mitglied der englischen Hofkapelle wurde auf die Musiker Honegger aufmerksam und ermutigte sie, mit ihm nach England, nach Windsor, zu kommen, wo sie der Königin Viktoria (1819–1901) aufspielen mussten. Die Königin hatte so grosse Freude an der Zürcher Gruppe, dass sie sie in England behalten wollte. «D' Honeggere» zogen es aber vor, wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Auf der Heimreise soll der Kapitän sie aufgefordert haben, sich auf dem Schiff engagieren zu lassen, was die Musiker aber ebenfalls ablehnten. Sie verliessen das Schiff in Bordeaux, um den Weg nach Zürich auf dem Landweg anzutreten.

Das Fraumünster war bis zur Reformation von 1525 nicht nur eine Kirche, sondern ein Kloster, und als solches nicht nur eine geistliche, sondern auch eine weltliche Institution mit zahlreichen Rechten, welche die ganze Stadt betrafen. Die Äbtissin besass das Münz-, Zoll- und Marktrecht und nahm bis ins 14. Jahrhundert Einfluss auf die Gesetzgebung in der Stadt Zürich. Als Vorsteherin eines karolingischen Eigenklosters reichte ihre Bedeutung weit über die Grenzen Zürichs hinaus. Als «Reichsfürstin» gehörte sie im Deutschen Reich zu einem ca. 100-köpfigen Kreis von Personen, die in der Hierarchie direkt hinter den Kurfürsten standen.
Nach dem Aussterben der Zähringer, welche in Zürich die Reichsvogtei inne gehabt hatten, im Jahr 1218, entfaltete sie ihre Macht als Stadtherrin. In ihrer Abtei hielt sie fürstlich Hof. Höhepunkte waren die wiederholt belegten Besuche des deutschen Königs in den Jahrzehnten um 1300. Im Spätmittelalter machte der erstarkte Rat der Stadtbürger der Äbtissin ihre Kompetenzen streitig. Im Jahr 1526 übergab die letzte Äbtissin Katharina von Zimmern die letzten Herrschaftsrechte sowie Kirche und Kloster an den nun reformierten Stadtstaat.
