Das Klärwerk Werdhölzli, die grösste kommunalen Kläranlage der Schweiz, entstand in verschiedenen Etappen und ist entsprechend heterogen. Nähert man sich ihm heute zu Fuss auf der Zufahrtsstrasse, nimmt man als erstes Abschrankungen und Barrieren wahr und weiss nicht so recht, wohin man den Blick wenden soll. Die vier aufgerichteten Rohre auf der linken Seite im Hintergrund geben sich jedenfalls nicht gleich als Kunst zu erkennen. Es gibt auf dieser «Flussinsel», wie man das mittelhochdeutsche «Werd» (Wert) übersetzen könnte, eine Vielfalt von Bauten, aber keine markanten Fassaden und keinen repräsentativen Platz. Dank seiner Lust am Lösen von scheinbar unmöglichen Aufgaben und seinem Interesse an Ingenieurskunst konnte Jürg Altherr schliesslich auch dieser Situation etwas abgewinnen.
Die Stahlkonstruktion XII, die später den Titel Schräg im Gleichgewicht bekam, behauptet sich nun auf einer kleinen Terrasse vor dem Betriebsgebäude. Die vier parallelen, 12 Meter langen Chromstahlrohre ragen auf Spitzen stehend wie überlängte Stifte von einem Zementsockel auf und werden von vier Seilen aufrecht gehalten, die in der Sockelplatte verankert sind, wodurch diese zu schweben scheint. Dass sie an Raketen, aktuell vielleicht eher: Raketenabwehr − denken lassen, hat mit ihrer Dynamik, aber auch mit der schimmernden Metalloberfläche zu tun. Bei bedecktem Wetter verleiht das irisierende Grau der profanen Anlage einen fast überirdischen Glanz.
Schräg im Gleichgewicht ist nicht nur ein Paradebeispiel für Altherrs Leidenschaft, gewaltige Kräfte in einem Balanceakt aufzufangen, geradezu himmelsstürmend steht sie auch für seinen Drang in die Höhe.
Caroline Kesser
- Kunst Jürg Altherr (1944-2018), Zürich
«Schräg im Gleichgewicht (Stahlkonstruktion XII)», 1984
Chrom-Nickel-Stahl geschliffen und poliert, Stahlseil, Betonplatte
ca. 1200 x 600 x 250 cm
Foto: Peter Baracchi, Zürich - Projektleitung Restaurierung Alexander Ritter
- Eigentümervertretung Entsorgung + Recycling Zürich