Sascha Frühholz, Sie forschen zur Wirkung von Musik. Dabei zeigte sich, dass Live-Musik intensivere Reaktionen hervorruft als gestreamte Musik. Wie lässt sich das erklären?
Live-Musik ist viel dynamischer und emotional intensiver als aufgenommene Musik. Als Menschen vor rund 40 000 bis 60 000 Jahren anfingen Musik zu machen, war Musik immer live. Das hat sich Ende des 19. Jahrhunderts geändert, als Technologien für aufgenommene Musik entwickelt wurden. Trotzdem haben Menschen nicht aufgehört, Live-Musik zu hören und dieses Erlebnis zu geniessen. Aufgrund unserer Studie liegt das daran, dass während der Live-Musik die Künstler*innen ihre Performance an das emotionale Erleben des Publikums anpassen können. Damit besteht auch die Möglichkeit, das emotionale Erleben der Zuhörer*innen zu intensivieren.
Was macht das Erlebnis bei einem Live-Konzert so besonders?
Das liegt wohl am individuellen Charakter jedes einzelnen Musikkonzerts. Jedes Live-Konzert ist anders, und Zuhörer*innen wollen vor allem die individuelle Verbindung von Musiker*innen und Zuhörer*innen während des Konzerts. Sie mögen das Erlebnis, dass Musiker*innen für diesen individuellen Moment performen.
Was bedeuten Ihre Forschungsergebnisse fürs Hören von Musik allgemein?
Es bestand die generelle Angst, dass mit Musikaufnahmen und dem Streamen die Bedeutung der Live-Konzerte stark abnehmen würde – weil durch Musikaufnahmen Musik für jeden und zu jeder Zeit verfügbar wurde. Das war vor allem eine Angst der Musiker*innen während der Corona-Pandemie, als Live-Konzerte gar nicht oder nur minimal möglich waren. Wie wir heute wissen, ist diese Angst teils unbegründet, weil Menschen das Erlebnis der Live-Konzerte immer noch bevorzugen.
Spielt auch das gemeinsame Erleben eine Rolle?
Ja, die meisten Menschen schätzen an einem Live-Konzert auch das soziale Erlebnis. Das gemeinsame Erleben eines Konzertes, aber auch das Vorher – die Vorfreude – und das Nachher – die emotionale Erinnerung –, ist wesentlich für das emotionale Erleben.

Wo hatten Sie in letzter Zeit ein Live-Konzert-Erlebnis, das Sie emotional besonders stark berührte – und warum?
Die Musik von Albin Brun verfolge ich schon seit längerer Zeit, und durch ihn bin ich auf das Schwyzerörgeli gestossen. Das Konzert «Innerland» von Albin Brun und Kristina Brunner in Hombrechtikon weckte bei mir tiefgehende Emotionen – starke Begeisterung, Zufriedenheit, aber auch eine gewisse Nostalgie und Erinnerungen. Diese Musik, insbesondere der Klang des Schwyzerörgelis, löst in mir zahlreiche innere Bilder und Vorstellungen aus. Allein das ist für mich bereits ein intensives emotionales Erlebnis.
Zur Studie
Wiebke Trost, Caitlyn Trevor, Natalia Fernandez, Florence Steiner, Sascha Frühholz. Live music stimulates the affective brain and emotionally entrains listeners in realtime. PNAS. 26. February 2024. DOI: 10.1073/pnas.2316306121
Zur Person
Sascha Frühholz ist Professor für Kognitive und Affektive Neurowissenschaften am Departement für Psychologie der Universität Zürich.

An MKZ gibt es jährlich über 700 öffentliche Live-Konzerte zu geniessen. Die Veranstaltungen werden auf der Website publiziert.