«Macht nüüt, dass Sie z’schpoot sind», sagt Bertha Breig zur Begrüssung. «Bi grad am Seifeblooteremache gsi.» Der Besuch dauert noch keine Minute und verblüfft bereits doppelt. Die 91-Jährige bläst offenbar nicht nur vergnügt Seifenblasen, sondern kommt auch ohne Lift zu Rande. Ihre Wohnung befindet sich im ersten Stock der Wohnsiedlung Birkenhof beim Milchbuck.
Zwei Mal umgezogen
Wir setzen uns in die Küche, auf dem Tisch stehen Cracker und Blätterteiggebäck, dazu gibt’s Rhabarber-Limonade. Die Küche ist der Lieblingsort von Frau Breig. Er geht zum Innenhof der Wohnsiedlung, der zurzeit besonders ruhig ist – die Schulferien haben eben begonnen. Aber auch, wenn die Kinder tschutten, stört sie das nicht. Ebenso wenig wie der Verkehr auf der anderen Hausseite. Und der Baulärm? Die Wohnsiedlung Birkenhof wurde in den letzten drei Jahren rundum saniert. Die Küchen, Bäder, Fenster, Leitungen, das ganze Programm. Für Investoren ist das häufig ein Grund für Massenkündigungen. Die Stadt setzte die Häuser in Etappen instand, damit die Mietenden bleiben und innerhalb der Siedlung umziehen konnten.
Ungefähr ein Drittel nahm das Angebot an und blieb, darunter Frau Breig. Zügeln ist bereits für viele Jüngere eine Zumutung, für die meisten Betagten ist es eine Tortur – nicht für Bertha Breig. Als ihre Wohnung an der Reihe war, zog sie in den Birkenhof 7 und, als ihre heutige Wohnung renoviert war, nochmals um. «D’Frau Bellot het jo alles gmacht, und de Baustaub het d’Spitex vo Zyt zu Zyt wider wegputzt.» Carla Bellot ist die Inhaberin der Umzugshilfe für Betagte Zürich. Sie sorgte nicht nur dafür, dass die zwei Zügleten reibungslos klappten, seither kümmert sie sich auch um alles, was die Spitex nicht abdeckt. Dank ihr konnte Frau Breig an einer Klassenzusammenkunft teilnehmen, und sie begleitet sie zum Arzt oder, wie kürzlich, zum Optiker.
Sie braucht keine Alterswohnung
Einiges im Haushalt erledigt Frau Breig noch selbst. Morgens macht sie sich das Frühstück und wäscht ab, die anderen Mahlzeiten bekommt und wärmt sie auf. Kochen ist gerade wegen den modernen Geräten, die keine handlichen Knöpfe und Schalter mehr haben, schwierig geworden. Auch die gewaschene Wäsche faltet sie selbst zusammen und verstaut sie – Ordnung im Haushalt ist ihr wichtig, alles hat seinen Platz. Ihre Vorstellungen hatte Frau Breig auch bezüglich der Bodenbeläge der neuen Wohnung. Was die Architekten vorsahen, war ihr zu dunkel und zu kühl. Sie liess daher auf eigene Kosten in den Zimmern einen Spannteppich und in der Küche eine hellen PVC-Belag darüber verlegen. Ansonsten ist ihre Wohnung identisch mit allen anderen.
Frau Breig ist eine von 25 Personen in der Wohnsiedlung über 65 Jahre. 21 Prozent der Bewohnerschaft fallen in diese Alterskategorie – das ist deutlich mehr als in der ganzen Stadt (14 Prozent) und im Quartier (12 Prozent). Und wie kommt sie in ihrem Alter ohne Lift zurecht? Die Rentnerin scheint fast erstaunt ob der Frage und antwortet wie zumeist mit einem einzigen, schnörkellosen Satz: «Ich wone jo im erschte Stock.» Will heissen: Wohnte sie im zweiten, wären es mehr Treppentritte.
Hadern mit dem Älterwerden: ‹Nützt ja nüt.›
Ob sie denn nie hadere mit dem Älterwerden, hakt der Besuch nach. «Nützt ja nüt.» Ist diese stoische Gemütsruhe dafür verantwortlich, dass das Alter Frau Breig scheinbar nichts anhaben kann? Auf ihr «Wundermittel» angesprochen, meint sie: «Weiss nöd. Sport hani jedefalls nie gmacht, und rauche tueni au wider.» So gelassen die Seniorin dem Leben begegnet, es hielt auch einige Prüfungen für sie bereit.
«Öppedie gahni use, momol»
Bertha Breig wächst in Adetswil im Zürcher Oberland auf. «Ich bi e Metzgerstochter.» So stolz sie das sagt, das Elternhaus bereitet ihr einen schwierigen Start. Der Vater stirbt noch, bevor sie zur Welt kommt, und die Mutter vernachlässigt sie. Die Grosseltern nehmen Bertha bei sich auf und ziehen sie gross. «D’Städter sind zu üs cho go schlittle», erinnert sie sich an die Zeit. Mit vierundzwanzig wird sie selbst zur Städterin und zieht nach Zürich, wo sie in Seebach die Haushaltschule absolviert. Mit ihrem ersten Ehemann hat sie Pech. Sie ist es, die dafür sorgen muss, dass genügend Geld reinkommt, und für den Haushalt natürlich auch.
Im ‹Jelmoli› sieht sie beim Putzen manchmal Heliane Canepa. ‹Gredt hani nie mitere, obwohl ich FCZ-Fan bi.›
Mit ihrem zweiten Mann zieht sie vor bald 60 Jahren in den «Birkenhof». 20 Jahre lang arbeitet sie im «Jelmoli», steht um 5 Uhr auf und putzt von 6 bis 9 die Ladenflächen blank. Unter den ersten Kundinnen sieht sie manchmal Heliane Canepa, die Unternehmerin und Verwaltungsrätin des FC Zürich. «Gredt hani nie mitere, obwohl ich FCZ-Fan bi.» Heute geht Frau Breig nicht mehr in den Letzigrund. Nicht wegen den Treppenstufen, die würde sie meistern. Aber ihre Kreise sind enger geworden. «Öppedie gahni use, momol.» Das Fernsehen, der «Blick» und die «Schweizer Illustrierte» bringen die Welt zu ihr nach Hause. Kürzlich die Fussball-Europameisterschaften und bald die Olympischen Spiele.