Als Erstausbildung hat Esther Peyer Coiffeuse gelernt und nach Abschluss ihrer Lehre 2006 während 13 Jahren auf dem Beruf gearbeitet – in einem Coiffeursalon am Meierhofplatz, unweit ihres jetzigen Arbeitsorts. Von 2019 bis 2022 studierte sie am Zentrum für Ausbildung im Gesundheitswesen (ZAG) Pflege HF. Den Praxisteil absolvierte sie im Gesundheitszentrum für das Alter Bombach, wo sie heute als diplomierte Pflegefachfrau HF auf einer geschützten Abteilung für Menschen mit Demenz arbeitet.
Esther, wie hat dich deine berufliche Laufbahn in die Pflege geführt?
Coiffeuse hatte ich damals gelernt, weil ich sehr kreativ bin. Zusätzlich merkte ich immer mehr, dass der Beruf auch einen hohen sozialen Anteil hat. Vor allem ältere Menschen hatte ich während über zehn Jahren belgeitet. Ich bekam einschneidende Ereignisse in ihrem Leben mit wie den Tod eines Ehepartners oder die Geburt von Enkelkindern. Aber auch, wenn plötzlich psychische oder körperliche Probleme auftraten. Als Mensch wollte ich in solchen Momenten mehr geben können und sie begleiten. Als Coiffeuse war das aber natürlich nicht meine Aufgabe. Es fiel mir manchmal schwer, mir keine zusätzlichen Tätigkeiten ausserhalb meines beruflichen Rahmens aufzubürden.
Darum hast du dir überlegt, wo du Menschen begleiten könntest?
Genau. Wer gerne in einem sozialen Beruf mit älteren Menschen arbeiten möchte, stösst automatisch auf die Langzeitpflege. Das Thema Pflegenotstand war mir schon damals bekannt, das Soziale sagte mir zu und den Umgang mit älteren Menschen fand ich immer schon schön: ihre Weltansichten, ihre Gedanken zur heutigen Zeit, ihre Prägung von früher. Also habe ich mich nach ein paar Schnuppertagen in einem Pflegeheim in Einsiedeln und im Gesundheitszentrum für das Alter Wolfswinkel für die Ausbildung zur Pflegehelferin beim Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) angemeldet, um während des 15-tägigen Praktikums erste Erfahrungen in der Pflege zu sammeln. Mir ging es darum herauszufinden, wie ich mit der Geruchswelt umgehe und wie ich darauf reagiere, Menschen zu berühren. Davor hatte ich grossen Respekt.
Wie wurdest du in der Pflege aufgenommen?
Sehr positiv – sowohl von den Bewohnenden als auch von den Mitarbeitenden. Ich erhielt am Ende meines SRK-Praktikums sehr viele schöne Rückmeldungen: Ich hätte einen guten Umgang mit den Menschen, ein grosses Empathievermögen. Zudem könne ich mich gut ins Team integrieren, denke eigenständig und hätte keine Berührungsängste, aber ein gutes Verständnis von Nähe-Distanz. Ein ähnliches Feedback bekam ich später auch im Gesundheitszentrum für das Alter Bombach nach meinem zweitägigen Selektionspraktikum. Das freute mich sehr, weil es mir zeigte, dass das erste Feedback keine Momentaufnahme und Einzelmeinung war, sondern offenbar etwas, was mich ausmacht.
Und dann hast du entschieden, Pflege zu studieren?
Nicht ganz. Ich wollte anfänglich eigentlich eine Teilzeitstelle als Pflegehelferin finden und daneben weiterhin als Coiffeuse arbeiten. Später, wenn ich etwas Berufserfahrung gesammelt hätte, wollte ich über das Validierungsverfahren das Eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ) als Fachfrau Gesundheit erlangen. So suchte ich in den Kantonen Zürich und Thurgau nach offenen Stellen. Aus reiner Neugier gab ich im Suchfeld statt «Pflegehelferin» einmal «Pflegefachfrau» ein. Die Anzahl offener Stellen stieg um den Faktor 10. Das fand ich eindrücklich – und der Gedanke liess mich nicht mehr los. Mein Freund arbeitete damals beim RAV und wusste, dass die Stadt Zürich zweimal im Jahr eine Informationsveranstaltung zum Quereinstieg in die Pflege organisiert und motivierte mich, daran teilzunehmen. Denn aus seiner Sicht hätte ich sehr viel Potenzial für dieses Studium. Es dauerte ab dem Zeitpunkt aber noch ungefähr ein halbes Jahr, bis ich mich traute, den nächsten Schritt ernsthaft in Betracht zu ziehen. Die Ausbildung klang sehr komplex und ich wusste nicht, ob ich mir das zutrauen konnte, obwohl mein familiäres Umfeld mich sehr in meinem Vorhaben bestärkte.
Und dann hast du dich fürs Studium angemeldet?
Genau, dann ging's los. Ich nahm Kontakt mit dem Bildungsverantwortlichen bei den Gesundheitszentren auf, machte den Multicheck, den ich mit einem sehr guten Ergebnis abschloss, und besuchte zwei Infoabende: einen am Careum Bildungszentrum für Gesundheitsberufe und einen am Zentrum für Ausbildung im Gesundheitswesen (ZAG), wo ich dann auch die Aufnahmeprüfung gemacht habe. Als Quereinsteigerin, die lange nicht mehr die Schulbank gedrückt hatte, entsprach mir das Studium am ZAG mit einem hohen Anteil an Präsenzunterricht mehr. Für den Praxisteil kam mir dann der Zufall zu Hilfe.
Inwiefern?
Ich hatte an einem Samstag bis 13 Uhr im Coiffeursalon gearbeitet und von einer Kundin erfahren, dass das Gesundheitszentrum Bombach an jenem Samstag den Tag der offenen Tür für das neu eröffnete Demenzhaus organisierte und Interessierte einlud. Da ich noch einen Praktikumsplatz für meine Ausbildung suchte und ich das Gesundheitszentrum Bombach von einem Auftritt mit den Gospelsingers kannte, mischte ich mich spontan unter das Volk und hielt nach jemandem aus der Bildung Ausschau. Ich traf auf die richtigen Personen und stellte mich vor à la: «Ich bin Esther Peyer und brauche einen Ausbildungsplatz». Der Rest ist Geschichte.
Wie hast du das Studium erlebt?
Es waren intensive drei Jahre. Zum Glück hielt mir mein Freund den Rücken frei. Ich scherze gerne: Was ist während des Studiums das Schönste, was du von deinem Partner hören kannst? «Schatz, Essen ist fertig». Die ersten beiden Tage standen ganz im Zeichen des Ankommens: Es gab eine Einführung und die Klasse fand sich. Mitte Woche gingʼs dann richtig los, und gewisse Themen waren anfänglich sehr komplex. Von Zytologie, der mikroskopischen Untersuchung von Zellen, hatte ich zuvor zum Beispiel noch nie gehört. Auch alle Fachbegriffe musste ich von Null an lernen. Dafür kaufte ich mir kleine Karteikarten und begann so, die Wörter auswendig zu lernen. Mein Tipp: Lernen beim Gehen. Am ersten Wochenende nach Semesterbeginn schrieb ich eine Zusammenfassung des notierten Stoffs. Ich wusste, ich musste damit bis Sonntag durch sein, denn am Montag würde schon die nächste Ladung an Informationen auf mich zukommen. An diesem ersten Wochenende hatte ich einen Moment, in dem ich zweifelte, ob ich das Studium schaffen würde. Aber nachdem ich endlich alle Zusammenfassungen fertig hatte, überkam mich eine innere Gewissheit: Ich schaffe das. Keine Ahnung, woher dieses Gefühl kam, aber es blieb bis zum Schluss bestehen. Zunehmend lernte ich Strategien, wie ich den Stoff am besten zusammenfassen, auf den Punkt bringen und gut erlernen kann. Dies brauchte jedoch seine Zeit. Gut begleitet und unterstützt wurden wir in diesem Lernprozess von den Lehrer*innen.
Wie hast du den Praxisteil erlebt?
Ich hatte zu Beginn grossen Respekt vor der Praxis: Blut nehmen, Spritzen setzen, Menschen, die sich übergeben, waren die Themen, die mir anfänglich ein bisschen Sorgen machten. Trotz der ersten Erfahrung aus dem SRK-Kurs war mir klar, dass ich auch hier wieder bei null anfangen würde. Ich hatte zu Beginn Mühe, Hilfe anzunehmen: Als Coiffeuse hatte ich allein gearbeitet und mich immer eigenständig «durchgeboxt». Ich durfte lernen, um Hilfe anzufragen und bekam sie auch. Das braucht Vertrauen und Mut. Auch auf meiner jetzigen Abteilung ist ein flexibles, gegenseitiges Helfen Gold wert.
Warum hast du dich für die Arbeit auf der geschützten Demenzabteilung entschieden?
Nach der Ausbildung standen mir ganz viele Türen offen, um mich weiterzuentwickeln. Also bin ich in mich gegangen und habe mich gefragt, was mich am meisten bewegt. Die Antwort war klar: Mein Herz schlägt für Menschen mit Demenz. Dank meiner Empathie habe ich einen sehr guten Zugang zu ihnen und ihrer Weltwahrnehmung. Meine Kreativität und mein Mut, Neues auszuprobieren, schenken mir oft Lösungswege in herausfordernden Situationen.
Was macht die Arbeit mit Menschen mit Demenz für dich so besonders?
Wenn man mit Menschen mit Demenz arbeitet, muss man sehr flexibel sein. Man muss mit einer gewissen Rahmenlosigkeit umgehen können. Es ist eine Kunst, in Situationen und nicht in Strukturen zu denken. Das erinnert mich an die Zeit, als ich Improvisationstheater machte: Du weisst nie, was kommt, und gibst dich einfach in die Situation hinein. Sehr wichtig ist, dass man bei äusserer Hektik seine innere Ruhe bewahrt, denn Menschen mit Demenz nehmen unser Innenleben sehr stark wahr.
Welche Fähigkeit aus deiner Tätigkeit als Coiffeuse kannst du besonders gut gebrauchen?
Definitiv das Kommunikative: Als Coiffeuse bist du eine kreative Entertainerin. Auch auf der Demenzabteilung kann ich mit der clownesken Intervention durch Heiterkeit Menschen mit Demenz aus einer Situation herausholen. Wenn Menschen miteinander lachen, haben sie ein Gemeinschaftsgefühl. Ich stimme zum Beispiel ein Lied an oder mache lustige Gesten mit dem Wissen, dass dabei Hormone ausgeschüttet werden, die glücklich machen, die Bindung fördern und auch schmerzlindernd sein können. Das funktioniert meistens gut, kann aber auch missverstanden werden. Dann bist du halt auch mal eine «dumme Kuh». Damit muss man umgehen können.
Was hilft dir dabei?
Meine Fachlichkeit. In der Ausbildung lernten wir zum Beispiel, hinter Reaktionen von Menschen zu sehen und die Gründe für ihr Handeln wahrzunehmen. Bei Menschen mit Demenz können dies z. B. Hunger, Müdigkeit oder vorhandene Schmerzen sein. Wir haben gelernt, Situationen zu decodieren, sie aus einer fachlichen Distanz zu betrachten und auf eine sachliche Ebene zu bringen.
Du bist für den Branchenverband OdA als Bloggerin tätig, wie kam es dazu?
Während meines Studiums entdeckte ich mein Talent und die Freude am Schreiben. Ich wurde von Bildungsverantwortlichen und Lehrpersonen ermutigt, etwas daraus zu machen. Also streckte ich meine Fühler aus und stiess durch einen glücklichen Zufall auf diese Möglichkeit. Meine Texte richte ich primär an Menschen, die bereits in der Pflege arbeiten oder sich dafür interessieren. Ich vertrete als Bloggerin speziell die Langzeitpflege und greife immer wieder auch das Thema Demenz auf. In meinen Texten gebe ich gerne einer spezifischen Erfahrung und meiner Reflexion dazu Ausdruck. Durch das Vertiefen, Verarbeiten und die Diskussion dazu möchte ich vor Augen führen, wie bunt und wertvoll die Pflege ist.
Was macht der öffentliche Diskurs zur Pflege mit dir?
Ich sehe es als unsere Aufgabe als Pflegende, Botschafter*innen für unseren Beruf zu sein. Ich bin der «Glas halb voll»-Typ und glaube, dass sich etwas verändert – politisch und gesellschaftlich. Wichtig ist, dass wir den Blick nicht immer nur auf den Mangel und die Probleme richten. Unser Denken leitet unser Handeln. Unsere Gedanken werden schon seit vielen Jahren von Personalmangel und zukünftigen Zahlenprognosen geprägt. Wir kennen diese Realität – jetzt lasst uns zusammen vorwärtsgehen. Es gibt sehr viele in der Pflege, die sich für diesen wunderschönen Beruf stark machen, die einstehen für eine würdevolle Bezugspflege, für gesunde Achtsamkeit und eine zusammenhaltende Teamkultur. Es ist Zeit, dass wir uns alle zusammen wieder der Sonne zuwenden.
Mit welcher verbreiteten öffentlichen Meinung zur Pflege bist du nicht einverstanden?
Mit der Aussage: «Oh, ich könnte das nicht». Ich behaupte, viel mehr Menschen könnten in einem pflegerischen Setting arbeiten, wenn sie sich denn darauf einlassen würden. Ich z. B. überwand meine Angst vor erbrechenden Menschen an dem Tag, an dem ich das Norovirus kennenlernte: ein Schlüsselerlebnis. Ich stand damals nicht allein da. Auf meinem Rücken prangte ein Rucksack voll mit Wissen über den Menschen und seine Anatomie, seine Bedürfnisse, sein Wesen. Das Wohlbefinden meiner Bewohnerin war mir wichtiger als meine ängstlichen Gedanken. Ich bemerkte in mir einen Wandel und dass ich gerade lernte, wie ich mit einem gefürchteten Moment professionell umgehen konnte. Danach spürte ich eine grosse Freude und Erleichterung, denn ich wusste genau: Wenn ich das geschafft habe, dann gibt es auch für meine anderen Ungewissheiten und Ängste einen Weg. Die Ausbildung zur diplomierten Pflegefachperson ist eine wahre Lebensschule, die ich allen wärmstens empfehlen kann.
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Menschen bedanken, die in einem Pflegeberuf arbeiten.
Aber was sind eigentlich die Vorteile und Chancen eines Quereinstiegs in die Pflege?
- Du erfährst Sinnhaftigkeit und Wertschätzung im Beruf.
- Pflegefachpersonen sind auf dem Arbeitsmarkt sehr gefragt. Dies gibt Sicherheit und bietet dir Flexibilität, dein Pensum zu reduzieren oder eine Auszeit zu nehmen, wenn es deine persönliche Situation erfordert.
- Die Gesundheitszentren bieten Quereinsteiger*innen, die mit beiden Beinen im Leben stehen und entsprechende Fixkosten haben, ein Einkommen, das die Lebenskosten deckt.
- In der Langzeitpflege hast du vielfältige Weiterentwicklungschancen und die Möglichkeit, Karriere zu machen.