
Ab nach Zürich
In Ibach im Kanton Schwyz erlebte Susanna Meier eine Kindheit mit vielen Entbehrungen. Das Geld war knapp. «Meine früh verwitwete Mutter musste 20 Franken aufbringen, damit ich ein Jahr die Sekundarschule besuchen konnte. Mit 18 Jahren ergriff ich die Gelegenheit, dem ländlichen Leben zu entfliehen. Ich zog nach Zürich, in der Hoffnung auf ein besseres Leben», erinnert sie sich. In einer Textilfabrik fand sie eine Anstellung als Näherin. Sie verdiente 1.80 Franken pro Stunde – damals viel Geld.
London ruft
Zürich gab Susanna Meier das, wonach sie sich immer gesehnt hatte: Freiheit und Möglichkeiten. Doch sie wollte noch mehr von der Welt sehen. «Ich hatte nicht nur das Stadtleben im Blut, sondern auch das Fernweh. Mit 22 Jahren packte ich erneut meinen Koffer und setzte meinen Traum fort, die Welt zu erkunden», führt sie aus. Für 13 Monate zog sie nach London und fand eine Unterkunft bei einer Familie, die zufällig auch Meier hiess.
Die liebe Liebe
Zurück in Zürich führte ihr Weg sie eines Abends zum Tanzen ins Hotel Helvetia, wo sie den Mann treffen sollte, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen würde. «Es war Damenwahl. Ich zögerte nicht und forderte einen jungen Mann an meinem Tisch zum Tanz auf. Als ich die Tanzfläche erreichte, war er wie vom Erdboden verschluckt», erzählt sie. Stattdessen kam ein anderer junger Mann auf sie zu – ein Solothurner. Ihr heutiger Ehemann. «Er sang den ganzen Abend Lieder von Freddy Quinn. Mit ihm fand ich einen Partner, der auch meine Liebe zum Reisen teilte, schwärmt sie. 1960 heirateten die beiden.


Hinaus in die Welt
Die Familie wuchs bald, und mit ihren zwei Kindern begann für die Meiers ein gemeinsames Leben in Zürich Altstetten. «Das Fernweh liess uns nicht los. Mein Mann arbeitete bei der SBB, was uns als Familie viele Möglichkeiten gab, Europa günstig mit dem Zug zu erkunden», erklärt sie. Besonders Italien hatte es ihnen angetan, aber auch Frankreich und Schottland lockten. «Eine unserer aufregendsten Reisen führte meinen Mann und mich noch vor unserer Hochzeit auf die damals jugoslawische Insel Hvar, mitten in die 1.-Mai-Feiern und die politischen Umbrüche der Zeit. Das war sehr beeindruckend. Tito regierte, und es kamen jede Woche Soldaten auf die Insel», erinnert sie sich.
Das Reisen im Blut
Als ihre Tochter nach Kalifornien auswanderte, wurde das Reisen abermals ein fester Bestandteil ihres Lebens: Mehrmals im Jahr flogen Susanna Meier und ihr Mann in die USA, um sie und ihre Familie zu besuchen. «Von meinen Enkelkindern lernte ich das amerikanische Englisch – das passt mir besser als das britische», erklärt sie. Ihr Sohn, ein Schriftsteller, führt die Tradition des Reisens ebenfalls fort. Ihn zog es mit seiner Familie häufig nach Italien, insbesondere nach Südtirol. Der Ausgangspunkt für die vielen Reisen blieb bei Susanna Meier und ihrem Mann über all die Jahre gleich: Zürich. «Seit über 52 Jahren ist der Stadtteil Altstetten unser Zuhause. Als unsere alte Wohnung in einem SBB-Gebäude renoviert wurde, fanden wir eine Alterswohnung im Gesundheitszentrum für das Alter Grünau – ganz in der Nähe. Für mich war das eine grosse Erleichterung. Das Quartier ist mir über die Jahre ans Herz gewachsen», freut sie sich. Die Nachbarschaftshilfe, die sich in Altstetten etabliert hatte, setzte sich auch in im Gesundheitszentrum Grünau fort. «Eine Nachbarin bringt mir jede Woche eine Zeitschrift, und ich revanchiere mich, indem ich ihr die <20 Minuten> in den Briefkasten lege. Es sind die kleinen Dinge, die das Leben schöner machen», weiss sie.
Immer unterwegs
Ihr Alltag mag heute ruhiger sein, doch Susanna Meier ist noch immer gerne unterwegs. «Einmal pro Woche gehe ich ins Dorf zum Einkaufen und geniesse es, meine Routinen zu pflegen. Dazu gehört für mich auch, das Frühstück und den Znacht weiterhin selbst zuzubereiten. Auch mein Mann, der heute auf einen Rollator angewiesen ist, geht immer noch regelmässig Milch einkaufen. Aber nur die blaue, keine Vollmilch. Ich nehme jeden Tag, wie er kommt, so geht es mir am besten», ist sie überzeugt. So oft sie kann, geniesst Susanna Meier auch den grossen Dachgarten mit den vielen Kräutern und Blumen. «In der Grünau habe ich das Gefühl, angekommen zu sein, umgeben von vertrauten Gesichtern und der Gewissheit, dass ich hier bleiben darf, wie ich bin – eine Schwyzerin, die die Welt gesehen hat, aber immer wieder zu ihrem magischen Zürich zurückkehrte», fasst sie zusammen.