Im Fokus der Gerontopsychiatrie stehen prinzipiell ältere Menschen – in der Regel ab dem 60. Lebensjahr. Auch die Aufgabengebiete der Gerontopsychiatrie scheinen klar zu sein: sie beschäftigt sich mit der Krankheitslehre, Diagnostik, Therapie und Prävention von psychischen Erkrankungen, die das Alter begleiten können oder durch Altersvorgänge ausgelöst werden. Denn prinzipiell können im höheren Lebensalter alle auch im jüngeren und mittleren Erwachsenenalter vorkommenden psychischen Erkrankungen auftreten. Einerseits als Ersterkrankung oder aber auch als zum wiederholten Mal auftretende Krankheitsepisode. Also Alter und Psychiatrie als Teil der Definition.
Konzentrieren wir uns aber wieder auf die Psychiatrie. Dann mag man sich fragen, was diese Patientengruppe so besonders macht. So besonders, dass sich dies auch in den klinischen Versorgungsstrukturen widerspiegelt. Schliesslich gibt es an grossen psychiatrischen Einrichtungen meistens Abteilungen, welche auf Alterspsychiatrie spezialisiert sind.
Einige Krankheitsbilder unterscheiden sich im Alter oft von ihrem Erscheinungsbild als in jüngeren Jahren. Dies sowohl in Bezug auf die Häufigkeit und den zeitlichen Verlauf des Auftretens als auch in Hinblick auf Ausprägung und Symptomatik. Prägende Einflüsse auf psychische Erkrankungen im Alter haben von körperlicher Seite her die Multimorbidität, Gebrechlichkeit und Immobilität älterer Menschen. In sozialer Hinsicht auch Vereinsamung und nicht zuletzt die mit der letzten Lebensphase einhergehende Auseinandersetzung mit Krankheit, Endlichkeit, Sterben und Tod.
Die Gerontopsychiatrie befasst sich insbesondere auch mit psychischen Erkrankungen, die typischerweise erst in dieser späteren Lebensphase auftreten, wie beispielsweise die verschiedenen Formen der Demenzerkrankungen. In der stationären Gerontopsychiatrie häufig zu behandelnde Krankheitsbilder sind nebst anhaltenden Demenzerkrankungen die affektiven Störungen wie Depression oder bipolare Erkrankungen. Zudem akute Verwirrtheitszustände (Delir) oder schizophrene und wahnhafte Störungen (Psychosen).
Auch Abhängigkeitserkrankungen sind im Alter nicht selten. Ferner Belastungs- und Krisenreaktionen, Suizidversuche, Angst- und Zwangsstörungen, somatoforme Störungen sowie Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen machen eine Behandlung oft unumgänglich. Von daher scheint es gerechtfertigt, die Alterspsychiatrie als eigenständiges Teilgebiet der Psychiatrie anzusehen, wobei sie jedoch nicht als eine reine Erweiterung der «Erwachsenen»-Psychiatrie aufzufassen ist, sondern vielmehr – unter Bezug auf die Erfahrungen der Neurologie, Gerontologie und der Geriatrie – ihre eigenen präventiven, diagnostischen, therapeutischen und rehabilitativen Strategien entwickelt.
Neben entsprechenden Stationen in psychiatrischen Einrichtungen etablieren sich mittlerweile spezialisierte Abteilungen in Institutionen der geriatrischen Langzeitpflege. Dies für langzeitpflegebedürftige Menschen mit dauerhaften oder temporären Verhaltensauffälligkeiten als Folge von lebensgeschichtlichen Erlebnissen, persönlichkeitsassoziierter Faktoren oder im Rahmen von psychischen Erkrankungen, die erheblich sind und eine Regelversorgung in einem Pflegezentrum überfordern. Der Aufenthalt erfolgt sowohl als Dauerlösung oder als Übergang während akuter Phasen.
Diese Abteilungen bieten ein spezialisiertes, auf die Bedürfnisse der Bewohnenden zugeschnittenes Angebot mit stabilisierenden, soziotherapeutischen Interventionen und milieutherapeutischen Massnahmen. So werden beispielsweise individuelle Pflege- und Betreuungsplanungen erstellt, die eine langfristige Aufrechterhaltung der psychischen Stabilität und der Lebensqualität zum Ziel haben. Der Alltag wird lebensnah gestaltet und beinhaltet alltagsrelevante Beschäftigungen im Rahmen individueller Tagesstrukturen.
Diese Rahmenbedingungen stellen nicht-psychiatrisch geschultes Personal vor Herausforderungen. Sie sind zwar Spezialisten in der Geriatrie und häufig auch bestens in der Pflege und Betreuung von an Demenz erkrankten Menschen geschult – zuweilen fehlen aber Handlungskompetenzen für die psychiatrische Begleitung.
Praxisnahes Know-how ist jedoch notwendig, um eine adäquate Pflege und Betreuung zu leisten, handlungsfähig zu bleiben, als Team zu funktionieren und dabei selbst gesund zu bleiben. Es braucht Vertrautheit mit den psychischen Grundfunktionen und Kenntnisse rund um die wichtigsten gerontopsychiatrischen Krankheitsbilder. Ebenso wie einen Überblick über die gängigsten Psychopharmaka-Gruppen, deren Indikation, Wirkmechanismen und Nebenwirkungen – aber auch über die Grenzen der medikamentösen Behandlung und mögliche Alternativen. Psychiatrische Notfälle, wie beispielsweise akute Suizidalität oder Angst- und Panikattacke sollen erkannt und entsprechende Handlungsschritte bekannt sein.
Zudem braucht es das Wissen, um die eigene Rolle in der Pflege und Betreuung gerontopsychiatrischer Menschen und um eine Balance zwischen Nähe und Distanz im Sinne des Selbstschutzes zu finden. Dabei spielt die Zusammenarbeit im Team eine entscheidende Rolle: Gemeinsame Haltungen, Strategien und Regeln im Team sind ebenso wichtig wie wirksame Strategien zur Bewältigung von Belastungssituationen auf Teamebene.
Es wird klar, dass das Feld der Gerontopsychiatrie auch hinsichtlich der Kompetenzen eine komplexe Sache ist. Es braucht beides: Geriatrisches Wissen – ergänzt mit pflegerisch-therapeutischen Kenntnissen aus dem Gebiet der Psychiatrie.
Das Thema beschäftigt das gesamte Gesundheitswesen. Dies zeigt sich, weil auch unser neuer Basislehrgang Gerontopsychiatrie innert kurzer Zeit ausgebucht war
Psychische Erkrankungen bei älteren Menschen können für alle Berufsgruppen ein Thema sein. Das vermittelte Fachwissen in unseren Weiterbildungsangeboten gibt Ihnen Sicherheit über die Erkrankung im Umgang mit Betroffenen.